Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Bestzeit läuft. Wenn man genauso schnell nachlässt, wie man zuvor schneller wurde, ist man mit 35 Jahren wieder so schnell wie einst als 19-Jähriger: acht Jahre bergauf, acht Jahre bergab. Aber ich wusste, dass es hier einen Haken gab, und war mir ziemlich sicher, dass es dabei darum gehen musste, ob wir so schnell nachlassen, wie wir uns zuvor verbesserten. »Vielleicht halten wir ja unser Tempo ein bisschen länger, wenn wir erst einmal soweit sind«, überlegte ich. Khalid Khannouchi war 26 Jahre alt, als er eine neue Marathonweltbestzeit aufstellte, und war mit 36 immer noch schnell genug, um bei der US-Olympiaqualifikation 2008 unter die ersten Vier zu laufen. Innerhalb von zehn Jahren war er nur zehn Minuten langsamer geworden, trotz einer ganzen Serie von Verletzungen. Unter Würdigung der Khannouchi-Kurve schraubte ich meine Antwort auf 40 Jahre.
»Vierzig …«, setzte ich an, bis ich sah, wie sich auf Brambles Gesicht ein Lächeln breitmachte. Hastig legte ich nach:
»Fünfundvierzig, schätze ich mal.«
»Falsch.«
»Fünfzig?«
»Nein.«
»Fünfundfünfzig können’s nicht sein.«
»Sie haben recht«, sagte Bramble. »Das kann nicht sein. Es sind vierundsechzig Jahre.«
»Meinen Sie das ernst? Das ist ein …«, ich rechnete das schnell aus, »das ist ein Altersunterschied von fünfundvierzig Jahren. Sie behaupten, dass Teenager Leute nicht besiegen können, die mehr als dreimal so alt sind wie sie?«
»Ist das nicht erstaunlich?«, sagte Bramble. »Nennen Sie mir irgendeine andere Sportart, in der sich Vierundsechzigjährige mit Neunzehnjährigen messen. Schwimmen? Boxen? Keine Chance. Wir Menschen haben eine wirklich seltsame Eigenschaft: Wir sind nicht nur richtig gute Ausdauerläufer, wir halten dieses richtig gute Niveau auch bemerkenswert lange. Wir sind eine Maschine, die zum Laufen geboren ist – und die Maschine geht nie kaputt.«
»Man hört nicht mit dem Laufen auf, weil man alt wird«, sagte der Dipsea Demon immer. »Man wird alt, weil man mit dem Laufen aufhört.«
»Und das gilt für beide Geschlechter«, fuhr Dr. Bramble fort. »Die Frauen liefern dieselben Ergebnisse wie die Männer.« Das klingt einleuchtend, weil sich an uns eine merkwürdige Wandlung vollzogen hat, seit wir von den Bäumen herabgestiegen sind: Je menschlicher wir wurden, desto ähnlicher wurden wir uns in unserem Körperbau. Männer und Frauen sind, zumindest, wenn man sie mit anderen Primaten vergleicht, nahezu gleich groß: Männliche Gorillas und Orang-Utans sind doppelt so schwer wie ihre besseren Hälften; die Körpermasse männlicher Schimpansen ist gut ein Drittel größer als die der Weibchen. Bei den Menschen beträgt der durchschnittliche Unterschied zwischen Ihm und Ihr jedoch nur magere 15 Prozent. Im Lauf unserer Entwicklung wurden wir Muskelmasse los und wurden geschmeidiger, kooperativer … im Prinzip: weiblicher.
»Die Frauen wurden wirklich unterschätzt«, sagte Dr. Bramble. »Unter evolutionären Gesichtspunkten wurden sie übers Ohr gehauen. Wir pflegen immer noch diese Vorstellung, dass sie herumsaßen und darauf warteten, dass die Männer mit Nahrung zurückkehrten. Aber es gibt keinen Grund, der dagegen spricht, dass Frauen an Jagden teilnehmen.« Eigentlich wäre es sogar merkwürdig, wenn Frauen nicht an der Seite der Männer jagen würden, weil sie diejenigen sind, die das Fleisch wirklich brauchen. Der menschliche Körper profitiert von den im Fleisch enthaltenen Proteinen am meisten während des Säuglingsalters und während der Schwangerschaft und Stillzeit. Warum sollten die Frauen also nicht versuchen, der Fleischversorgung so nahe wie möglich zu kommen? Nomadisierende Jäger und Sammler orientieren sich mit ihren Lagerplätzen an den Wanderungen der Herden, also war es sinnvoller, wenn sich das ganze Lager zur Nahrung hinbewegte, anstatt diese dorthin zurückzuschaffen.
Und die Fürsorge für Kinder ist auch in der Bewegung gar nicht so schwierig, wie die amerikanische Ultralangstreckenläuferin Kami Semick zeigt. Sie läuft gern auf Bergpfaden in der Umgebung ihres Wohnorts Bend in Oregon und nimmt dabei ihre vier Jahre alte Tochter Baronie in einer Rückentrage mit. Neugeborene? Kein Problem: Beim Hardrock-100-Lauf 2007 besiegte Emily Baer 90 andere Teilnehmer, Männer und Frauen, und wurde Achte der Gesamtwertung, obwohl sie an jeder Versorgungsstation anhielt, um ihren neugeborenen Sohn zu stillen. Die Buschleute sind heute keine Nomaden mehr, aber die Tradition
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