Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
… dann stürzte es zu Boden.
Das tat Louis auch. Als er das gestürzte Kudu erreichte, war er so überhitzt, dass er aufgehört hatte zu schwitzen. Er sank mit dem Gesicht nach unten in den Sand. »Wenn man sich ganz auf die Jagd konzentriert, geht man bis an die eigenen Grenzen. Man ist sich gar nicht bewusst, wie erschöpft man ist«, erklärte Louis später. In gewisser Weise war dies ein Triumph für ihn. Er hatte es geschafft, in diese Lebensweise hineinzufinden, und war so stark gelaufen, als hätte die Verfolgung ihm gegolten. Nicht gelungen war ihm dagegen die Überprüfung der eigenen Fußabdrücke. Die Buschleute lernten schon vor langer Zeit, ihre eigenen Fußabdrücke zu überprüfen, weil es so leicht war, die Rückmeldungen des eigenen Körpers zu überhören. Wenn ihre Fußabdrücke so schlecht aussahen wie die der Kudus, hielten sie an, wuschen sich das Gesicht und füllten den Mund mit Wasser, das sie dann langsam die Kehle hinunterrinnen ließen. Nach dem letzten Schluck gingen sie ein paar Schritte und prüften ihre Spuren erneut.
In Louis Kopf hämmerte es, und die trockenen Augen trübten sich. Er verlor fast das Bewusstsein, war aber immer noch agil genug, um echte Angst zu empfinden. Bei 42 Grad Celsius lag er hier in der Wüste und hatte nur eine Chance, sein Leben zu retten. Er griff nach dem Messer am Gürtel und holte gegen das tote Kudu aus. Wenn er es aufschnitt, konnte er das Wasser aus dem Magen trinken.
»NEIN!«!Nate stoppte Louis. Kudus fressen, im Unterschied zu anderen Antilopenarten, Akazienblätter, die für Menschen giftig sind.!Nate beruhigte Louis, wies ihn an, noch eine Weile durchzuhalten, und lief davon.!Nate hatte zwar schon über 30 Kilometer hinter sich gebracht, fast 25 davon laufend, war aber dennoch in der Lage, weitere 20 Kilometer zu rennen, um Louis etwas Wasser zu bringen.!Nate ließ ihn nicht sofort trinken. Zuerst benetzte er Louis’ Kopf, dann wusch er ihm das Gesicht, und erst als sich Louis’ Haut langsam abkühlte, gestattete er ihm winzige Schlucke.
Nachdem ihm!Nate zum Lagerplatz zurückgeholfen und er sich erholt hatte, staunte Louis über die grausame Effizienz der Ausdauerjagd. »Sie ist viel effizienter als die Jagd mit Pfeil und Bogen«, stellte er fest. »Man braucht zahlreiche Versuche, um als Jäger mit dem Bogen erfolgreich zu sein. Man kann das Tier treffen und die Spur dennoch verlieren, oder Aasfresser riechen das Blut und kommen einem zuvor, oder es dauert die ganze Nacht, bis das Gift in der Pfeilspitze endlich wirkt. Nur ein kleiner Prozentsatz der Pfeilschüsse ist erfolgreich, der Fleischertrag einer Ausdauerjagd ist deshalb, unter Einberechnung der benötigten Jagdzeit, viel höher.«
Louis sah erst bei seiner zweiten, dritten und vierten Ausdauerjagd, wie viel Glück er beim ersten Mal gehabt hatte. Das Kudu bei seinem Debüt war schon nach zwei Stunden zusammengebrochen, aber alle anderen Tiere danach ließen die Buschleute drei bis fünf Stunden lang laufen (das entspricht aufs Schönste, so könnte man hier festhalten, der Zeit, die die meisten Menschen brauchen, um unsere heutige Version der prähistorischen Jagd hinter sich zu bringen: den Marathonlauf. Der Freizeitsport hat seine Ursachen).
Louis musste einen neuen Laufstil entwickeln, wenn er als Jäger erfolgreich sein wollte. An der Highschool war er ein ausgezeichneter Mittelstreckler gewesen, hatte sich den Meistertitel über 1500 Meter gesichert und war über 800 Meter nur knapp nach dem Sieger ins Ziel gekommen. Aber wenn er mit den Buschleuten mithalten wollte, musste er alles ablegen, was zeitgenössische Trainer ihm beigebracht hatten, und die Praktiken der Vorfahren studieren. Als Leichtathlet hatte er den Kopf nach unten genommen und die Bahn mit trommelnden Schritten umkurvt, aber als Lehrling der Buschleute musste er den Kopf oben halten und bei jedem Schritt hellwach sein. Er konnte sich nicht geistig abmelden und Schmerzen ignorieren. Stattdessen changierte seine geistige Tätigkeit ständig zwischen dem unmittelbar Wahrnehmbaren – Kratzer im Staub, der Schweiß auf der eigenen Stirn – und dem Imaginären, wenn in seinem Kopf Kriegsszenarien abliefen, mit denen er seiner Beute in Gedanken einen Schritt voraus sein wollte.
Das Tempo war nicht zu scharf. Die Buschleute lassen sich für einen Kilometer im Schnitt knapp sechseinhalb Minuten Zeit, aber der größte Teil der Laufstrecke führte durch weichen Sand und Buschland, und gelegentlich hielten sie
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