Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Gesichtern in der Türöffnung. Der jüngere, ein jungenhafter Typ mit schwarzen, kurzgeschnittenen Haaren, fummelte nervös an seiner Dienstwaffe herum. Der ältere Kollege legte ihm lachend einen Arm um die Schultern. Deleu spitzte die Ohren. Ihr Büro war offenbar von der Staatsanwaltschaft komplett leer geräumt worden.
Als Deleu näher kam, drehte sich der jüngere Mann um und durchquerte die Polizeidienststelle in Richtung der Schalter des Einwohnermeldeamtes. Deleu beschleunigte seine Schritte. Durch eine geräumige Eingangshalle gelangte er in einen schmalen Flur mit mehreren Türen. Der junge Polizist war spurlos verschwunden. Vor der letzten Tür standen zwei Männer, die heftig gestikulierend ins Gespräch vertieft waren, einer in Uniform, der andere in Zivil. Deleu ging zu ihnen hin und zeigte dem Uniformträger seinen Dienstausweis. Dieser, ein dünner, etwa fünfzig Jahre alter Mann mit pergamentartiger Haut und einer Kassenbrille auf der Nase, erwies sich als
Adjunct-Commissaris.
Bei seinem Gesprächspartner, einem Mann mittleren Alters mit runden, roten Wangen und dem Gehabe eines Großgrundbesitzers, handelte es sich um Pierre Aspeslagh, den örtlichen sozialistischen Bürgermeister höchstpersönlich.
Der Adjunct-Commissaris fragte Deleu von oben herab, was dieser lächerliche Zirkus eigentlich zu bedeuten habe. Deleu wies ihn darauf hin, dass dies die einzige gangbare Methode sei, die Ermittlungen nicht zu behindern und niemandem die Chance zu geben, eventuelle Spuren zu verwischen.
»Muss ich daraus entnehmen, Mijnheer Deleu, dass einer meiner Mitarbeiter in Ihrem Fall als Verdächtiger gilt?«, fragte der Adjunct, wobei er sich mit dem knochigen Zeigefinger gegen die Nasenspitze tippte.
»So würde ich es nur ungern ausdrücken, Commissaris« – Deleu nannte den Adjunct absichtlich Commissaris, um ihn gnädig zu stimmen –, »aber im Interesse der Ermittlungen wollen wir eben jeder möglichen Einmischung von außen von vornherein vorbeugen.«
»Ich dachte, wir zögen alle an einem Strang«, erwiderte der Mann bissig.
»Wollen wir’s hoffen«, antwortete Deleu und wechselte abrupt, die zitternde fleischige Unterlippe des Bürgermeisters ignorierend, das Thema.
Doch als Deleu fragte, ob die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft sämtliche Unterlagen in Kartons gepackt und mitgenommen hätten, entblößte der Adjunct grinsend seine braunen Raucherzähne. »Kartons, Inspecteur? Sie haben den PC und alle Datenträger beschlagnahmt, wenn Sie das meinen.«
Deleu fühlte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg. »Natürlich, bei Ihnen läuft alles nur noch über EDV .«
Er drehte sich um, kehrte schnurstracks zu seinem Wagen zurück und spürte dabei die bohrenden Blicke des Adjunct und des Bürgermeisters im Rücken. Tja, man konnte nicht immer gewinnen.
Ein PC , verdammter Mist.
[home]
21
A ber ich sage dir, dass da ein Polizeibeamter mit drinhängt, Jos!«, behauptete Deleu halsstarrig, den Zeigefinger schüttelnd wie ein schimpfender Vater. Bosmans lehnte sich lässig zurück, die Füße auf dem Schreibtisch, und zuckte mit den Schultern.
»Wir müssen sämtlichen Kollegen dort Druck machen, bis wir wissen, was genau sich abgespielt hat!«
»Vielleicht hat sich ein Fehler in das Computerprogramm eingeschlichen, Dirk.«
Deleu schwieg. Er wusste, dass Bosmans einen ausgeprägten Widerwillen gegen Computer und alles hegte, was dazugehörte. Martens, der Computerspezialist der zentralen Leitstelle, hatte bewiesen, dass die Daten manipuliert worden waren, aber es war ihm nicht gelungen, die gelöschte Anzeige wieder hervorzuzaubern. Martens behauptete steif und fest, dass Robert Vanfleteren, der Dienstälteste des Zemter Polizeikorps, für die Manipulation verantwortlich war.
Bosmans hatte sich der Sache persönlich angenommen und Vanfleteren zwei Tage hintereinander tüchtig eingeheizt. Doch dieser schwor hoch und heilig, unschuldig zu sein. Momentan war er zu Hause, heimgesucht von einer heftigen Depression. Seine Frau hatte Bosmans heute Morgen angerufen, ihn beschimpft und ihm mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gedroht. Es überraschte Deleu, dass Bosmans sich davon einschüchtern ließ.
»Komm schon, Jos, wir müssen die Geschichte bis in alle Einzelheiten klären. Vielleicht erzielen wir damit den großen Durchbruch. Die Ermittlungen stecken in einer Sackgasse. Die Presse fordert deinen Kopf. Meine Frau …«
»Er hat nur noch drei Dienstjahre vor sich, seine zwei Töchter studieren,
Weitere Kostenlose Bücher