Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
gar nichts.«
»Die Opfer, was für Leute waren das?«
Bosmans zog einen braunen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und öffnete ihn zögernd.
»Ganz normale Leute. Auf den ersten Blick eine glückliche Familie.« Er räusperte sich und überreichte Deleu einen Stapel Fotos.
Das oberste war ein gewöhnlicher Ferienschnappschuss: Eine langbeinige Blondine zog ein lachendes Mädchen in einem Gummiboot durch die flachen Wellen am Meeresstrand. Auf dem zweiten Foto posierten zwei Erwachsene und ein Kind in Skiausrüstung neben einem Lift. Alle drei so vermummt, dass man sie nicht erkennen konnte. Anhand der blonden Locken, die unter der Mütze des Kindes hervorschauten, vermutete Deleu, dass es sich um dasselbe Mädchen wie in dem Gummiboot handelte.
Er schob das zweite Foto achtlos unter den Stapel. Dann stockte ihm der Atem, und der Magen drehte sich ihm heftig um. Diesmal lag die blonde Frau im Bett. Nackt, die Hände auf der Brust gefaltet, die Finger krampfhaft ineinander verschränkt. Ihre geöffneten Augen drückten abgrundtiefes Entsetzen aus, und ihr Körper, der mehrere Stichwunden aufwies, war mit geronnenem Blut bedeckt. Im Unterleib klaffte ein großes Loch. Die Wand hinter ihr war über und über mit bräunlichen Flecken bedeckt. Blutspritzer, zweifellos. Das Foto glitt Deleu aus den Fingern und flatterte zu Boden.
»Wir haben sie erst zwei Tage später gefunden«, stammelte Bosmans und zuckte mit den Schultern, als wolle er sich dafür entschuldigen. Seine Oberlippe zitterte. »Die Gebärmutter ist entfernt worden.«
Deleu raffte die Fotos zusammen und warf sie Bosmans in den Schoß.
»Bist du verrückt? Barbara kann jeden Moment reinkommen, und Rob muss hier auch irgendwo in der Nähe sein.«
Bosmans steckte die Fotos schweigend in den Umschlag und verbarg diesen wieder in der Innentasche seines Jacketts.
Die Stille war zum Schneiden. Bosmans mied Deleus Blick und blickte auf seine schlammbespritzten Schuhspitzen. Er hatte keine Wahl. Er musste Deleus Panzer durchbrechen. Die heftige Reaktion seines Freundes weckte zumindest Hoffnungen. Das Foto hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
Bosmans hatte den Moment seines Erscheinens sorgfältig gewählt. Geduldig hatte er im Wagen gewartet und erst an der Tür geklingelt, nachdem Barbara um die Ecke gebogen war. Rob war schon vorher weggefahren, ein Mädchen hinten auf dem Gepäckträger seines Fahrrads, vermutlich seine Freundin. Wusste Deleu, dass sein Sohn eine Freundin hatte? Wahrscheinlich schon. Deleu besaß einen sechsten Sinn für solche Dinge. Von allen Ermittlern, die Bosmans kannte, verfügte er über die ausgeprägteste Intuition. Sein Einfühlungsvermögen war phänomenal. Er brauchte Deleu.
»Tut mir leid, Jos, ich kann dir nicht helfen. Die Zeiten sind vorbei.« Deleu verzog keine Miene, obwohl ihm das Blut in den Schläfen pochte. »Seit wir mit dem ›Witte Mars‹ gegen die Schlampereien bei der Dutroux-Affäre demonstriert haben, habe ich mich nicht mehr so mies gefühlt«, fauchte er.
»Das ist ja schon mal ein Anfang«, stellte Bosmans mit der Hartnäckigkeit eines Bluthunds fest. Obwohl er Deleu liebte wie einen Sohn, war er nicht bereit, seine Beute entkommen zu lassen.
»Noch ein Bier?«
»Wenn du auch noch eins mittrinkst.«
Während Deleu steifbeinig in die Küche ging, betrachtete Bosmans das Innere des Chalets. Es strahlte Ruhe aus. Neben dem knisternden Kamin stand ein dekorativer Weidenkorb mit Holzscheiten, und in einem verbeulten Kupferkessel gluckste Wasser. Die Einrichtung wirkte schlicht, aber solide. Solide und langweilig. Nach seinem vorübergehenden Abschied von der Kripo – er hatte Laufbahnunterbrechung beantragt – hatte Dirk Deleu sein Haus in Mechelen verkauft und sich mit seiner Familie an diesem ruhigen, friedlichen Ort niedergelassen.
Bosmans fragte sich, womit Deleu in dieser gottverlassenen Gegend eigentlich seinen Lebensunterhalt verdiente. Ein Ermittler der Kriminalpolizei im Exil. Ein ausgebrannter Beamter. Obwohl, als studierter Psychologe und Kriminologe hatte er wahrscheinlich schnell eine Stelle gefunden.
Deleu knallte die Flaschen auf den Wohnzimmertisch und ließ sich tief in die weichen Sofakissen sinken.
»Womit verdienst du zurzeit dein Geld?«
»Mit meinem Nebenberuf. Als Betriebspsychologe. Aber jetzt mal raus mit der Sprache: Wie weit seid ihr denn nun wirklich mit euren Ermittlungen?«
»Wie ich bereits sagte, nicht viel weiter als das, was du in den Zeitungen
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