Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
ein Formular unter die Nase. »Würdest du bitte hier noch unterschreiben, Jean?«
»Aber da steht ja gar nichts drauf! Ich kann doch kein Blankoformular unterzeichnen.«
»Na schön«, antwortete Deleu gleichgültig und zückte den Füller aus der Brusttasche seines Sakkos. »Dann fahr schon mal ins Präsidium und warte da so lange, bis wir die Untersuchungen hier abgeschlossen haben. Es wird sicher weit nach Mitternacht.«
Jacops sah den Kollegen von der Kripo ausdruckslos an, als schaue er durch ihn hindurch, und zog an den Fingern seiner rechten Hand, dass die Knöchel knackten. Er nahm den Füller entgegen, kritzelte seufzend seine Unterschrift an die Stelle, auf die Deleu mit dem Finger zeigte, und ging beleidigt zur Tür.
»Nochmals vielen Dank«, rief Deleu ihm schmunzelnd hinterher. Manchmal war Feingefühl wirklich nicht seine Stärke.
Jean Jacops nickte abwesend und ging, ohne dass ihm weiterer Dank gezollt wurde, hinaus in den Flur.
42
Gleich die erste Seite war äußerst aufschlussreich. Bosmans fluchte verhalten, als er den Namen Claude Verspaille entdeckte. Er blickte sich verstohlen um und ließ dann den abgegriffenen ledernen Taschenkalender in der fusseligen Innentasche des Lodenmantels verschwinden. Anschließend sah er sich in dem geräumigen Hotelzimmer um, ging hinüber zu dem riesigen, runden Wasserbett und legte dort mit Hilfe einer Pinzette seine Fundstücke aus: zwölf Polaroid-Fotos, alle von exklusiven Callgirls, drei von ihnen höchstwahrscheinlich Transvestiten. Alle waren groß, schlank und – dem Haaransatz nach zu urteilen – blond gefärbt.
Eine der Damen, ganz offensichtlich eine Frau – selbst wenn die Brüste korrigiert waren, so schienen sie doch aus Fleisch und Blut zu sein –, war sogar drei Mal abgebildet, jedes Mal in einer anderen Aufmachung. Wahrscheinlich war sie Pardons bevorzugte Gespielin gewesen.
Bosmans runzelte die Stirn und dachte daran, wie Mieke Demunter die Verdächtige beschrieben hatte: tief liegende grüne Augen, hohe Wangenknochen, asymmetrisch geschnittene blonde Haare, groß und schlank, außerdem große Füße.
Möglich war es. Die Frau auf den Fotos trug jedes Mal eine andere Perücke, aber die Beschreibung traf durchaus auf sie zu. Er musste sich sofort mit dem Mädchen in Verbindung setzen.
Während er die Frau in der Pierrot-Verkleidung nochmals eingehend betrachtete, schüttelte er verständnislos das graue Haupt. Er dachte an seine wiederbelebte Beziehung zu Maud und ihre Momente einfachen, aber intensiven häuslichen Glücks. Sie waren zwar selten, doch es gab sie. Maud redete sogar von Heirat. Eine zweite Hochzeit. Ihm lief es kalt den Rücken hinunter. Heiraten, feiern, Kinder, Enkel …
Bosmans konzentrierte sich wieder auf die Fotos. Wer waren diese Frauen? Was bewegte sie? Warum waren sie so, wie sie waren? Seine Töchter Truus und Eva kamen ihm in den Sinn, ganz flüchtig nur. Er verscheuchte den Gedanken an die beiden sofort.
Keine Zeit für Sentimentalitäten, Bosmans.
Ob die Fotos in irgendeinem Zusammenhang mit den Telefonnummern in dem Kalender standen? »Ist eine von ihnen die Mörderin oder der Mörder?«, fragte er sich laut, während ihm vor Aufregung das Herz bis zum Hals klopfte.
Bei mindestens dreien der abgebildeten Personen musstees sich um Transvestiten handeln, wie die muskulösen Waden, die kräftigen Oberschenkel und die ausgeprägten Knie verrieten.
Hatte sich Robert Pardon etwa in der Transvestitenszene getummelt? Keine der zahlreichen Spuren wies bisher in diese Richtung, obwohl sie das Leben und Treiben des Politikers minutiös unter die Lupe genommen und bereits Dutzende Informanten befragt hatten. Bisher gab es keinerlei Verbindungen zum Transvestitenmilieu.
Bosmans warf einen hastigen Blick auf seine Armbanduhr. Halb zwölf. Er hatte beide Hausdurchsuchungen gleichzeitig durchführen lassen. Am liebsten hätte er noch am vergangenen Abend losgelegt, aber ohne die notwendige logistische Unterstützung wäre es sinnlos gewesen. Er raffte die Fotos zusammen, deponierte sie mit der Pinzette in einer Plastiktüte und eilte ins untere Stockwerk.
Der Hotelmanager, der verzweifelt auf ihn zustürzte, prallte heftig mit dem Rücken gegen die Tür des Foyers. Noch ehe der ratlose Mann sich kopfschüttelnd und unter Schmerzen aufgerappelt hatte, saß Jos Bosmans in seinem Mercedes.
Der Untersuchungsrichter schüttelte den Schnee von seinem Rücken wie ein Hund und gab Gas, ohne den Dieselmotor
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