Bossing - wenn der Chef mobbt
Geldschwierigkeiten? Nein, wirklich nicht. Und im Firmenalltag – er hat die Dinge doch im Griff. Wirklich? Na ja, nicht alles läuft immer reibungslos – aber im Großen und Ganzen weiterhin alles im grünen Bereich.
Erst später erkannte Petersen, dass er sich schon zu diesem Zeitpunkt ständig unwohl fühlte. Er war bei allem normalem Druck und Stress nicht mehr so unbeschwert, auf eine merkwürdige Weise fühlte er sich »belastet«.
Wieder verging einige Zeit, als eines Morgens sein langjähriger Firmenparkplatz vergeben war. »Für Besucher des Hauses« stand da. In dieser Woche führte ihn sein Chef in der Führungsbesprechung richtig vor: Wie er denn operativ und strategisch auf die zunehmende Talfahrt seiner Abteilung zu reagieren gedenke? Wolle er die Krise wie bisher einfach aussitzen? War er mit seinem Latein am Ende? Die neuesten Quartalszahlen sprächen doch eine deutliche Sprache.
Petersen wurde das erste Mal in seinem Erwachsenenleben rot vor Scham. Er nahm die Demütigung vor versammelter Mannschaft beinahe sprachlos hin. Seine Erwiderung wirkte kläglich und peinlich, selbst auf ihn selbst. In der Aufregung nannte er auch noch falsche Zahlen. Der Chef drückte daraufhin nur auf den Laptop und der Beamer projizierte für alle sichtbar ein anderes Bild. Petersen wäre am liebsten im Erdboden versunken vor Scham. Er wusste von nichts. Zurück an seinem Schreibtisch sah er, dass das Dokument offensichtlich unvollständig war: Die beiden wichtigsten Seiten fehlten. Auch das vor Wochen durch eine Zulieferer-Lücke entstandene Problem wäre schnell zu beheben gewesen. Wäre.
Ich muss mit dem Neuen in Ruhe und unter vier Augen sprechen, sagte sich Petersen. Die Vorstandssekretärin bedauerte: keine Chance, diese und nächste Woche absolut keine Terminoptionen.
Nun konnte Petersen kaum noch schlafen. Ständiges zielloses Grübeln hielt ihn wach. Seine Aufmerksamkeit litt darunter, er wurde unkonzentriert und agierte zunehmend gereizt. Schließlich kam ihm eines Mittags schlagartig zu Bewusstsein, dass er schon länger allein in die Kantine ging – niemand kam mehr, um ihn mitzunehmen. Dabei standen heute einige Kollegen vor dem Essen auf dem Flur zusammen …
»Wer beim Chef in Ungnade fällt«, weiss Norbert Copray von der Fairness-Stiftung um diese und ähnliche Bossingfälle, »wird schnell vom Flurfunk abgeschnitten.« Viele Kollegen meiden die Betroffenen, weil sich niemand mit einem Verlierer belasten will.
Petersen bekam die Bossingsituation jedoch in den Griff. Er sollte offensichtlich aus dem Unternehmen weggeekelt werden. Wenn er selbst ginge, müsste man keine Abfindung bezahlen. Als der Mittfünfziger seine Lage deutlich erkannte, nahm er die Rolle des Akteurs im schmutzigen Spiel an. Er ging zwar nicht zum Gegenbossing über, ließ sich jedoch helfen und beraten. Der Betriebsarzt als erste Anlaufstelle rechtfertigte sein Vertrauen, behandelte ihn medizinisch und zeigte ihm gegenüber viel Verständnis. Auf dessen Zuraten nahm sich Petersen einen Psychologen als Coach. Mit seinem Anwalt rekonstruierte er die Geschichte in einer Form, die vor Gericht Bestand haben würde, und erstellte eine Dokumentation der Vorfälle samt aller Belege. Nach wiederholt gescheiterten Versuchen einer Konfliktbewältigung mit dem neuen Chef wandte er sich direkt an den Aufsichtsrat. Diesem legte er seinen Fall vor und erläuterte die von seinem Anwalt angefertigte Klageschrift für das Arbeitsgericht. Damit begannen für Petersen wieder bessere Zeiten und der Spuk löste sich auf: Sogar Herr B. wurde wieder in seine Abteilung versetzt.
Der Fall Petersen ist aber eine Ausnahme. »Alles in allem geht keiner der Beteiligten als Sieger vom Platz«, sagt Copray. Mobbing richte in den Unternehmen viel mehr Schaden an, als allgemein vermutet. »Ich habe schon den Exodus ganzer Abteilungen gesehen. Am Ende versammelt der unerträgliche Chef dann nur noch schwache Jasager um sich.« Sehr oft geht es für die Bossingbetroffenen nur mehr darum, eine möglichst hohe Abfindung zu erwirken.
Um solche Desaster zu vermeiden, halten die Mitarbeiter der Fairness-Stiftung in Unternehmen Schulungen im Konfliktmanagement ab. Wichtig sei, so der Leiter, Konflikte rechtzeitigund gezielt anzusprechen, ohne persönlich zu werden. »Das haben die wenigsten gelernt.« Falsch verstandene Siegermentalität führe dazu, dass der Betroffene zurückmobbe – oder das Leiden verdränge. »Die Diskriminierten machen das Martyrium zu
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