Bossing - wenn der Chef mobbt
negativ ausgelebten Motivs Aggression: Die aggressiven Siegerwünsche wurden im Faschismus in Deutschland mit größten Schäden und schlimmsten Folgen für entsetzlich viele Menschen ausgelebt. Hier muss man sich mit hochproblematischen und tabuisierten Fragen auseinandersetzen, nämlich: Was ist der positive Kern des Faschismus? Boten die Nationalsozialisten auch positive Werte? Wie in allen anderen Wertefragen lautet auch hier die Antwort: Ja, selbstverständlich. Neben dem Gruppengefühl könnte dies für manche auch Patriotismus und Ähnliches sein.
Der gegenüberliegende Wert für diese Heimattreue wäre dann Nationentoleranz, Europaorientierung oder auch Weltbürgertum. Doch auch hier ist wieder zu sehen: Ein Zuviel der Europaakzeptanz oder des Weltbürgertums wäre als distanzloser Multi-Kulti-Kult zu beschreiben: Alles ist per Definition gut, was nicht der eigenen Nation entspricht.
Ein solches Wertequadrat sieht so aus, wir nennen es »68er-Wertekonstellation«:
Beispielhaft lässt sich erkennen, dass die positiven Varianten des Wertepaars immer oben stehen. Tatsächlich sahen die 68er-Protagonisten nur den Ausweg nach rechts oben, waren sie doch dieKinder der Nazis. Über Europa oder ein gelebtes Weltbürgertum wollte man wieder »ein guter Deutscher« werden. Tatsächlich waren viele Vertreter und Vertreterinnen der 68er-Bewegung international orientiert. Ihre Vorläufer, die Halbstarken und die städtischen Intellektuellen, hörten in den muffigen Nachkriegsjahren bereits internationalen Jazz, wie sich die Jugend in den 60er Jahren auf ihrem Universitäts-Campus von Frankfurt, Heidelberg oder Berlin genauso heimisch fühlte wie auf demjenigen von Paris, London oder Berkeley. Ihre Musik, ihre Ideen und Werte, ihre Literatur, ihre Lebensentwürfe und Liebesbeziehungen: Alles war international geprägt.
Vielleicht führten manche diese Europatoleranz, ihr Weltbürgertum zu weit. Das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer während der WM 2006 signalisierte jedenfalls eine wiedergefundene Wertedialektik im positiven Bereich: 60 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur konnte sich die zweite und dritte Generation mit ihrem Heimatland versöhnen. Hier gibt es ein freudvolles Deutschland, gerade weil es sich gleichzeitig europäisch und weltbürgerlich versteht und entsprechend inszenieren konnte. An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig der Ausgleich von gegensätzlichen Werten für jeden einzelnen Menschen ist. Genau aus diesem Grund sollte sich jeder, der mit dem Phänomen Bossing zu tun hat, mit dem Thema auseinandersetzen.
Halten wir an dieser Stelle folgende Erkenntnis fest:
Persönlichkeitsentwicklung verläuft in allen Grundmotiven in das obere Wertepaar.
Wie es so schön heißt: Extreme in eine Richtung tun nie gut. Problematisch wird es, wenn man zu stark im unteren oder auch schwankend im mittleren Bereich bleibt.
In anderen Worten: Eine reife Persönlichkeit hat Charakter. Sie hat gelernt, ihre persönlich prägenden Werte in grundmotivationaler Hinsicht praktisch ausschließlich im oberen Bereich desGrundmotivquadrats zu gestalten. Sie kennt positive Handlungansätze, die gegensätzlich sein mögen, die sie aber in Balance leben kann.
Diese Zusammenhänge sind für den Bosser von elementarer Bedeutung:
Bossen kann nur jene Führungskraft, deren Handlungsmittel in mindestens einem, in aller Regel aber in mehreren oder allen Werte- bzw. Grundmotivquadraten im unteren Bereich liegen. Man muss sich jedoch nicht großartig verbiegen, um positive Handlungsmittel zu kultivieren. Wir alle haben den Entwicklungshelfer in Gestalt des jeweiligen Bruderwerts in uns. Nur liegt er häufig brach, weil er für unser Leben und unseren Karriereweg links liegen gelassen wurde.
Wir können solche gegensätzlichen Werte jedoch wieder aktivieren und aufpolieren, und das jederzeit. Die Vorausgesetzung dafür ist jedoch, dass die eigene Seelenlandschaft noch nicht allzu sehr durch eine neurotische Entwicklung gelitten hat. Andernfalls sind die im Folgenden beschriebenen Möglichkeiten des Eigencoachings zwar auch nicht deplaziert, sie können aber nur begleitende Hilfe sein. Die eigentliche Arbeit muss ein anderer »Seelengärtner« übernehmen – jemand mit psychotherapeutischer Ausbildung.
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