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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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günstigen Stunde und brächte die Zeit zum Stehen, als hielte er diesen Tag zurück und löste ihn aus der Reihe der anderen. Es macht ihn unruhig, denn er hat Lina ohne Hintergedanken aus dem Wald gelockt, nun aber lockt sie ihn und, wie es scheint, die ganze Umgebung. Von Minute zu Minute ändert sich der Ort, nimmt die Schönheit dieses Tages Gestalt an, oder es ist Lina, von der, sobald sie sich bewegt, die Schönheit Zug um Zug erschaffen und verschwenderisch mit offenen Armen ausgeschenkt wird, als würde die Helligkeit anschwellen und sich verstärken, sich glänzend von den Felsen ergießen. Die Farben spiegeln sich auf dem Boden wider, und die Schatten sickern von den Bäumen herab, mit einem Mal beginnen sie sich abzulösen, kriechen aus ihrer Haut, machen sich selbständig, und oben am Rand hinten, an der Öffnung des Felsentrichters, reiben sich die Felsbrocken aneinander. Linas Schritte, die er
warteten und überlisteten, an der dörflichen Heuchelei vorbei und durch die kirchlichen Folklorewochenenden hindurch geschmuggelten, die knapp vor ihm abgedämpften und nun ihm zugewandten, beleben und begeistern seine eigenen. Die Schönheit tritt aus ihr heraus und geht auf ihn über, lodert herüber aus reiner Freude, aus freudiger Reinheit. Die Schwere weicht aus dem Körper, fällt von den Felsen ab, der Weg, bisher eng an die Felswand gedrängt, ebnet und öffnet sich, in den Gräsern bebt es, auf den Fußsohlen beginnt es zu kribbeln, und wenn der Schuh an einem Hindernis abrutscht, antwortet es freudig im Gestein. Die Wolken kommen hinter dem Gipfel hervor, verweilen kurz über dem Trichter, und auf der Kehre oben nimmt der Wildbach sein Brausen tiefer ins Erlengehölz mit. Boštjan hat das Gefühl, als wäre für ihn kein Platz mehr unter den Vernünftigen.
    Auf der Brücke bleiben sie stehen und überlassen sich dem Geräusch des Wassers, geben sich dem sprühenden Luftzug und dem rauschenden Widerhall zwischen den Felsen hin. Wozu Traum und Wirklichkeit unterscheiden? Bevor das Wasser die Brücke erreicht, springt es über die Felsbrocken und spritzt nach allen Seiten, doch auf der anderen, unteren Seite plätschert es zahm in der Strömung dahin. Die Brücke, diese bebende Umwandlungsstätte am Felsenausgang, hat kein Geländer, nur zwei schwere Träme säumen die Lärchenbalken. Es ist, als ächzte es in den Balken und zitterten die Träme. Bebt die Erde, oder türmt sich im Kessel nur die Luft auf, die an den Brückenlagern rüttelt? Das Wasser frißt sich in den Fels, unterspült die Wände und höhlt sie aus; die Brücke ist eine Mühle, deren Räder, Stampfen und Schaufeln seine vernichtende Kraft gebändigt, deren Steine seinen Starrsinn gebrochen haben. Auf der Brücke
war er jedesmal zurückgeblieben, als ob es ihn festgehalten hätte, weil sich unter ihm alles bewegte und es auch ihn selbst in die Bewegung hineinzog, ins Laufen brachte, während rundherum alles ruhig blieb. Das Wasser zog ihn zum Ausgangspunkt, zu dem Haus, dem er entsprang, das Wasser begleitete ihn auf dem Weg durchs enge Tesen, sein Gewässer, das über den Hügel heruntergesprungen kam und eng beim Haus vorüberrann, traf zu seiner Zeit auf die Brücke, erreichte den Graben und plätscherte durch den Markt in die weite Welt hinaus. Einmal wollte er ein Stück des fließenden Wassers sehen, aus dem Strom herauslösen; er markierte es, drückte ihm seinen Stempel auf, sein Kennzeichen, und legte beim Haus ein Ahornblatt auf die quirlige Wasseroberfläche, sah, wie es von der Strömung erfaßt und eingeschlossen wurde und wie sich auch das Blatt selbst an das unter ihm zusammengeballte Wasser schmiegte. Er lief talwärts, so schnell ihn seine Beine trugen, den Blick die ganze Zeit auf den Boden gerichtet, um nicht zu stolpern, den Weg in Sprüngen nehmend, im Wissen, daß neben ihm das Blatt durch die Kaskaden wirbelte, und in der Furcht, es könnte sich in einer Astgabel verfangen oder auf einer Schotterbank landen. Er rannte, als ob es ums Leben ginge, außer Atem kam er bei der Brücke an und warf sich auf die Balken, den Blick in Erwartung des vorbeischwimmenden Blattes auf die Wasserfläche gerichtet, überzeugt, es noch in derselben Wassermasse, es noch immer in ein und derselben Handvoll Wasser herantreiben und vorbeischaukeln zu sehen. Unter der Brücke, diesem tosenden Bändigungsort, formen sich die schäumenden Wasser der Steilhänge um; von der Brücke an tobt der Wildbach, durch die Enge des Brückenöhrs

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