Bote des Todes
nur sehr wenige Dinge.
Ihm hatten immer die vermissten Kinder Leid getan, deren Gesichter auf Milchverpackungen aufgedruckt waren. Die wenigsten Menschen, die einen Milchkarton in die Hand nahmen, schenkten den Gesichtern Beachtung, und nicht anders verhielten sie sich bei den Menschen um sie herum.
Für ihn war das sehr nützlich.
Er hätte sich eigentlich bedeckt halten müssen. Sie befanden sich jetzt in der Wartestellung. Sie warteten einfach nur, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickelten.
Das Warten …
Tagsüber war es einfach, aber die Nächte waren anstrengend.
Rastlos zog er durch die Straßen und kehrte jede Nacht in einer anderen Bar ein. Ein Lokal in irgendeinem unauffälligen Stadtviertel, in dem die Zeit herumging, ohne dass man jemandem auffiel, und in dem Drinks mit Wasser gestreckt wurden, dafür aber preiswert waren. Er hatte wirklich nur etwas trinken wollen, aber dann war ihm die junge Frau am anderen Ende des langen Tresens aufgefallen. Sie hatte langes, volles Haar, das einen leichten Rotschimmer hatte.
Es war gefärbt.
Egal. Die Bar war düster und schmuddelig.
Ihr Rock war sehr kurz, ihre Strümpfe hatten eine Laufmasche. Die Stiefel, die ihre langen Beine besonders gut betonten, hatten hohe Absätze. Meine Liebe, du könntest dir genauso gut ein Schild umhängen, auf dem steht, dass du eine Prostituierte bist, dachte er amüsiert. Doch ihr Gesicht hatte etwas Verlorenes. Aus einiger Entfernung betrachtet, war sie sogar hübsch. Ein kleines Mädchen, das vom rechten Weg abgekommen war und jetzt in diesem Leben feststeckte, ohne Hoffnung auf einen Ausweg …
Sie sah auf und bemerkte, dass sein Blick auf ihr ruhte. Er reagierte mit einem Lächeln. „Hi.“
Sie lächelte zurück und begutachtete seine Kleidung. Er hatte sich für diese Nacht recht lässig angezogen, aber für dieses Etablissement war er immer noch bestens gekleidet.
„Darf ich Sie zu einem Drink einladen?“ fragte er.
Ihr Lächeln wurde noch breiter, während sie aufstand und sich auf den Hocker gleich neben ihm setzte. „Sehr nett“, sagte sie. Er runzelte die Stirn, da er in den beiden Worten sofort einen Akzent bemerkte. „Ich bin Cary. Vielen Dank für die Einladung. Und Sie sind …?“
„Richard, Richard Jordan“, log er.
„Engländer?“ fragte sie, als sie seinen Akzent bemerkte. „Ich schätze, ich sollte das wissen.“
„Australier“, antwortete er. „Aber ich bin ein wenig in der Welt herumgekommen.“
„Es ist ein sehr schöner Akzent.“
„Ihrer aber auch.“
Sie verzog das Gesicht. „Ich werde County Cork einfach nicht los.“
„Wollen Sie das denn?“
„O ja. Zu Hause ist alles so elend.“
„Dort ist es doch sehr schön.“
„Aber nicht bei meinen Eltern“, sagte sie. „Mein Dad war ständig nur unterwegs. Er hat in einem albernen Krieg mitgemischt, und er hat meine Mom betrogen. Sie hat Untermieter aufgenommen. Die hat sie immer ‚ihre Männer‘ genannt. Als ich ihr sagte, ich würde die Dinge immer bei ihrem wahren Namen nennen, hat sie mich geschlagen und aus dem Haus geworfen. Mich interessiert die alte Heimat einen Dreck, bis auf …“ Sie stoppte und sah ihn entschuldigend an. „Tut mir Leid, das ist nicht das, was Sie erwartet haben. Ich bin etwas müde. Es sind Massen von Amerikanern in der Stadt, die sich alle für Iren halten. So viele Arschlöcher!“
„Ich verstehe“, murmelte er.
„Ist Ihnen kalt?“ fragte sie plötzlich.
„Wie?“
„Sie haben Ihre Handschuhe nicht ausgezogen.“
„Ach so. Meine Hände sind ein wenig durchgefroren.“
„Ich kann sie für Sie wärmen, wenn Sie wollen“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, ich nenne die Dinge beim Namen. Zu viele Arschlöcher. Aber Sie … Sie sind anders. Ich meine, ich kann nichts kostenlos machen, ich muss auch sehen, wie ich mein Geld verdiene. Aber bei Ihnen … da würde ich ein paar Extras dazugeben, für die Sie nichts zahlen müssen.“
Sie hatte dieses gewisse Aussehen. Unschuld, die zu Schund geworden war. Ein durch Erschöpfung verbrauchter Optimismus. Sie hatte ihn angezogen, gereizt und erregt. Sie war Müll. Sie lebte in der Gosse.
Aber er war rastlos. Und in der Stimmung, sich im Dreck zu wälzen.
„Gut. Holen Sie Ihren Mantel, ich bezahle die Getränke.“
Am Sonntagmorgen war der Kirchgang das Wichtigste für die Kellys. Moira telefonierte mit Michael und sagte ihm, er müsse nicht mit zur Messe kommen.
„Das würde ich mir doch nicht entgehen
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