Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
ohne Spitze und einer Frisur, die ohne diese Unmengen von schwarzen Blumen und Schleifchen auskam, mit denen sie aussah wie ein kitschiges Grabgesteck.
Es war offensichtlich, dass Tanya die Bitte zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinausgegangen war, ohne auch nur auf den geringsten Widerstand zu stoßen.
Sie trug einen Reifrock aus festem Stoff, der von etwas unterhalb des Bauchnabels bis knapp über die Knie fiel, wo er mit einer Quastenborte abschloss, die ebendort auf ein paar hohe Kniestrümpfe traf, ganz im japanischen Stil. Ein Korsett schob ihre Mädchenbrüste zu zwei blassen kreisrunden Bällen zusammen und so weit nach oben, dass sie beinahe die schwarze Perlenkette berührten. Auf dem Kopf trug sie einen Minihut mit Tüll und um die Handgelenke weiße Bänder, deren Enden fast bis auf den Boden herunterhingen.
Am eindrucksvollsten aber war das Make-up. Tanya schien ihr Gesicht in Gips getaucht und dann zwei Riesenaugen und ein paar Schatten darauf gemalt zu haben, die sie ein bisschen hässlich machten, ihr aber jene Aura einer lebendigen Toten verliehen, die perfekt zu ihrer Kleidung passte. Insgesamt erinnerte sie an ein Gespenst, das der Weihnachtsgeschichte von Dickens oder einem Gothic angehauchten Pulcinella-Film entsprungen schien.
Der Anblick war definitiv zu viel für ihn. Velasco musste sich an der Wand abstützen, um nicht an Ort und Stelle zusammenzubrechen.
»Was hast du gemacht?«, schrie er, obwohl nur ein Flüstern zu hören war. »Schau dich mal an, Herrgott! Als was hast du dich verkleidet?«
Sie blickte ihn abschätzig an. »Das ist keine Verkleidung. Ich mag diesen Stil.«
Velasco wusste, dass es ein verlorener Kampf war, also mäßigte er den Ton und appellierte an ihre Vernunft. Sonst nichts. Nur an ihre Vernunft. Das war doch wirklich nicht zu viel verlangt.
»Hör zu, Tanya, es ist zwar weder der richtige Moment noch der richtige Ort, aber … Ich bitte dich, bei allem, was dir heilig ist oder was du an deinem Gymnasium, deinem Unterricht oder unserer verdammten Zivilisation zu schätzen weißt: Zieh dich um! Das ist eine persönliche Bitte.« Er fuhr mit dem Handrücken über die Brieftasche. »Es geht zwar jeden Augenblick los, aber … ich spendiere dir ein Kostüm, wenn es nötig ist. Lass uns ins Einkaufszentrum um die Ecke gehen, und ich kauf dir eins. Jetzt müssten sie noch offen haben.«
Die Schülerin starrte ihn an, ihr Lächeln war eingefroren. »Was können Sie an mir am wenigsten leiden, Señor Velasco?«, fragte sie gelassen.
»Was ich an dir am …? Schluss. Schluss! Lass uns darüber jetzt nicht diskutieren. Wir haben keine Zeit.« Er deutete auf die digitale Stoppuhr, die die verbleibenden Minuten bis zum Beginn des Wettbewerbs anzeigte. »Ich will nicht, dass du so auf die Bühne gehst. Du siehst aus wie … die Nichte von Edward mit den Scherenhänden. Komm mit.«
»Nein«, erwiderte sie scharf. »Sie wollen etwas von mir. Und ich will etwas von Ihnen. Wenn Ihnen etwas daran liegt, dass wir zusammenarbeiten, lassen Sie mich in Ruhe, oder ich gehe jetzt auf der Stelle nach Hause und verbringe den restlichen Abend mit Abschminken.«
Velasco sah sie eiskalt an. Der enorme Größenunterschied zwischen den beiden ließ ihn wie einen Riesen dastehen, der im Begriff war, eine Fliege zu zerquetschen.
»Und was willst du von mir, du kleine Erpresserin?«, wagte er zu fragen.
»Respekt.«
»Respekt?« Er lachte höhnisch auf. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass dir in diesem Aufzug jemand Respekt entgegenbringt?«
»Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Ich werde für die Schule und für Ihre Beförderung kämpfen, wenn Sie möchten, aber wie, das müssen Sie schon mir überlassen, sonst …« Sie öffnete ihre Tasche, die im gleichen Stil gehalten war, und zeigte ihm den Make-up-Entferner.
Velasco fasste sich an den Kopf. Er ergriff das wenige, das von seinen Haaren noch übrig war, widerstand aber der Versuchung, daran zu ziehen. Schließlich gab er nicht ein Vermögen für Haarwuchsmittel aus, um sich das Ergebnis aus einer dummen Laune heraus büschelweise wieder auszureißen.
Der Sekundenzähler näherte sich in rasenden Schritten der Null. Der Spielleiter gab der Technik ein Zeichen, und das Deckenlicht erlosch. Der Saal war gestopft voll, das Publikum bestand zum größten Teil aus Angehörigen und Freunden der Teilnehmer. Hinter den Tischen warteten die Jugendlichen ungeduldig auf den Beginn des Abends, nur Tanyas Platz war noch
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