Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
damit sie niemals wieder in eine solche Verlegenheit geriet.
Als sie den Satz des Wächters aus dem Gedächtnis übersetzt hatte, pfiff sie leise durch die Zähne.
»Wie bitte … Entschuldigung? Ah, Sie meinen mich? Ja, mir geht es gut, es ist nur …« Sie rieb sich die Beine. »Ich will nicht nach Hause, bevor ich nicht meine persönliche Bestleistung von zehn Blöcken geschafft habe. Was manchmal nicht ganz leicht ist.«
»Sie gehen an einem Abend wie heute joggen?«, wunderte sich der Mann. »In diesem Aufzug?« Er musterte sie von oben bis unten. »Und barfuß noch dazu!«
Mist! Ein kulturelles Problem. Ihr Gewand aus lauter kleinen aneinandergenähten Steinen schien nicht gerade das zu sein, was die Leute hierzulande beim Sport anhatten. Und zu allem Überfluss trugen sie auch noch Schuhe.
Sie versuchte, die Situation zu retten. »Das hier … ist, zugegebenermaßen, auf den ersten Blick ein wenig befremdlich. Wissen Sie, ich trainiere für eine besondere Sportart. Eine besonders harte Form des Joggings mit einem sehr … sehr fremd klingenden Namen. Und die Regeln erst …« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte ein überdrüssiges Gesicht auf.
Der Wächter stemmte die Arme in die Hüften. Der jungen Frau fiel auf, dass er als einzige Waffe einen Schlagstock bei sich trug. Das war schon mal schlecht.
»In Ordnung. Ruhen Sie sich aus, aber sobald es Ihnen besser geht, laufen Sie weiter. Auf dieser Treppe hier können Sie nicht bleiben.«
»Ist gut, Señor, vielen Dank. Ach, eine Frage hätte ich noch, was findet denn hier heute Abend statt?« Sie deutete auf das Schild über dem Eingang.
»Ach, das? Nichts, absolut unbedeutend. Ein Wettbewerb von jugendlichen Hochbegabten oder so was. Eine Veranstaltung der Stadtverwaltung.«
»Aha. Und kann man da rein?«
»Nein, unmöglich. Nur geladene Gäste. Außerdem ist das Fernsehen da.«
»Ich verstehe. Aber es ist so, dass ich …«
Der Mann schob die Hände wie eine Zugbrücke zwischen sie beide.
»Die Diskussion ist hiermit beendet, Señorita. Und jetzt muss ich Sie bitten zu gehen, sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als …«
Der Ausdruck auf seinem Gesicht, der eben noch mürrisch und unerbittlich gewesen war, wurde plötzlich sanft und entgegenkommend.
Der Spiegel leuchtete wieder auf.
Das Mädchen versuchte ihn mit den Händen zu verdecken, aber der Zauber war bereits vollbracht.
Der Wächter schenkte der jungen Frau sein gütigstes Lächeln und begleitete sie zur Eingangstür. »Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung, ich weiß gar nicht, wo zum Teufel ich mit meinen Gedanken war«, entschuldigte er sich. »Normalerweise lassen wir niemanden mehr rein, sobald die Türen geschlossen sind, aber in Ihrem Fall werden wir selbstverständlich eine Ausnahme machen. Wenn Sie so freundlich wären …«
Er öffnete einen Türflügel halb und hätte sich beinahe vor ihr verbeugt, ehe sie hineinschlüpfte.
Sie befand sich alleine in einem großzügigen Eingangsbereich, in dem gewaltige Kristallleuchter von einer gewölbten Decke hingen.
Nachdem der Wächter die Tür wieder geschlossen hatte, hielt sie sich den Spiegel vors Gesicht und warf dem Spiegelbild einen wütenden Blick zu. Es war nicht ihr eigenes, sondern das einer Greisin, die sich trotz ihres weit über hundertjährigen Alters eine glänzende blonde Mähne bewahrt hatte.
»Lass diese Dummheiten, du bist viel zu schwach dafür!«, fauchte das Mädchen verärgert.
Es war absolut notwendig. Sie waren kurz davor, dich einzukreisen, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.
»Tu – das – nie – wie – der«, schalt das Mädchen, wobei es jede einzelne Silbe betonte. Dann versteckte es den Spiegel unter dem Hemd.
Die Antwort des Spiegels drang gedämpft an ihr Ohr:
Du weißt genau, dass ich entbehrlich bin, Séfora. Das Wichtigste ist, dass du diese jungen Leute rettest. Im schlimmsten Fall musst du mich opfern, und wenn es die letzte Energiespritze ist. Sie könnte dir das Leben retten.
Séfora ließ sich nicht dazu herab, darauf noch etwas zu sagen. Natürlich wusste sie über diesen Trumpf im Ärmel Bescheid, aber selbst, wenn es das allerletzte Mittel auf Erden wäre, dachte sie nicht daran, ihn auszuspielen. Sie würde ihre beste Freundin nicht aufgeben, um sich selbst zu retten.
Applaus drang gedämpft aus dem angrenzenden Saal. Das Mädchen schlich auf Zehenspitzen zur Tür und drehte an dem Knauf.
Séfora staunte nicht schlecht, als sie den
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