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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Im Sommer der Mörder
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ging allein um Marcel. Sie musste ihn wiedersehen. Marcel, der in ihre Wohnung eingedrungen war, der sie hereingelegt hatte. Der tatenlos zugesehen hatte, wie Menschen ermordet wurden, vielleicht selbst ein Mörder war.
    Marcel, der die Strippen zog. Der wie Johannes Mahr kurzfristig mit den Methoden arbeitete, die er langfristig bekämpfte. Sie musste ihn wiedersehen, mit ihm sprechen, jetzt, am Ende, da sie fast alles wussten.
    »Nein, Illi, ich gehe sofort.«
    »Also, ich glaube, ich …« Thomas Ilic beendete den Satz nicht.
    »Ich weiß. Mach dir keine Gedanken, ja?«
    »Bitte warte, Louise.«
    Sie schüttelte den Kopf. Strich ihm übers Haar und ging.

    23
    WIEDER STIEG SIE NICHT DIREKT in der Bachschneise nach oben, sondern lief erst ein Stück in den Wald hinein. Am Bach wäre sie von weitem zu sehen gewesen.
    Allein war der Aufstieg durch das nasse Dickicht noch mühsamer. Immer wieder glitt sie auf dem durchweichten Blätterboden aus, rutschte zurück. Sie war völlig durchnässt, völlig verdreckt. In ihren Turnschuhen stand das Wasser. Ihre Hände taten weh vom Hochziehen, Festhalten, Abstützen. Die Wunde am linken Arm schmerzte.
    Die Wunde, die Marcel verbunden hatte.
    Ja, sie musste ihn wiedersehen. Musste ihn dort aufspüren, musste dort eindringen, wo er sich sicher fühlte.

    Irgendwann kroch sie über eine Böschung, stand auf einem breiten Wanderweg, der entlang des Hangs verlief. Auf den Fersen hockend, ruhte sie sich für einen Moment aus. Keine Spur von Marcel, von Jamal, keine Geräusche, nichts. Nur die Geräusche des Regens und des Waldes. Vor allem den Helikopter vermisste sie. Die aufgeregte, vertrauliche Stimme von Hans Schober. Wie gern hätte sie in dieser dunklen Stille mit ihm telefoniert. Sie überlegte, ob seine Vertraulichkeit einen bestimmten Grund gehabt hatte. Ob man nicht nur im Gemeinsamen Zentrum in Kehl, sondern auch bei der Hubschrauberstaffel in Stuttgart von ihr gehört hatte.
    Almenbroich hatte Recht. Obwohl sie sich so verändert hatte, blieb sie, was sie gewesen war.
    Aber das war nicht wichtig. Die Veränderung war wichtig.
    Sie richtete sich auf, überquerte den Weg, trat auf der anderen Seite wieder in die Dunkelheit des Waldes.

    Minuten später erreichte sie eine Lichtung. Aus dem kniehohen Gras stieg dünner Nebel. Es hatte aufgehört zu regnen. Der Himmel hellte sich allmählich auf, die Wolkendecke wurde brüchig. Aber noch drang kein Sonnenstrahl hindurch. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, wie weit sie vom Gipfel entfernt war, wie weit vom Bach, von Thomas Ilic. Keuchend trat sie auf die Lichtung hinaus, stapfte über den weichen Boden. Sie dachte an Shahida, die unter ihren Händen und Blicken gestorben war, fragte sich, ob auch Jamal hier irgendwo lag mit einer Kugel im Kopf und einer Kugel in der Brust. Sie dachte an die anderen Toten dieser schrecklichen, schlaflosen Sommertage, Lew Gubnik, Hannes Riedinger, Peter Mladic, die Aziza Mahrs unschuldiger Traum von Demokratie und Freiheit das Leben gekostet hatte. Vier Tote in vier Tagen, seit am Montag im Morgengrauen Hannes Riedingers Schuppen in Flammen aufgegangen war. Dazu fünf Menschen entführt, Existenzen zerstört. Almenbroich vor dem Abschied. Die schreckliche Bilanz eines schrecklichen Plans …
    Ein Geräusch ließ sie innehalten. Ein leises Rascheln, als wäre der Wind über die Blätter gefahren.
    Aber es war windstill.
    Sie drehte sich um die eigene Achse. Nichts zu sehen, nichts mehr zu hören. Doch sie spürte, dass sie nicht allein war. Dass sie beobachtet wurde.
    Ihr Herz begann zu rasen. Marcel war hier.
    Sie zwang sich weiterzugehen.
    Als sie die Lichtung zur Hälfte überquert hatte, wurde der Wald vor ihr lebendig. Eine schwarze, vermummte Gestalt löste sich von den Bäumen, schräg rechts von ihr eine zweite, schräg links eine dritte. Sie trugen unförmige Rucksäcke, hielten Pistolen in den erhobenen Händen.
    Lisbeth Walters schwarze Horden.
    Am Ende hatte sie sie doch gefunden.

    Als hinter ihr wieder das Rascheln zu hören war, drehte sie sich um. Ein vierter Mann kam auf sie zu. Wie die anderen war er vermummt, doch er hielt keine Waffe in der Hand. Er wusste, dass sie nicht auf ihn schießen würde.
    Dass sie keine Chance hatte, ihn und seine Leute ins Gefängnis zu bringen.
    »Okay«, sagte sie.
    »Okay«, sagte Marcel. In seiner Stimme lag keine Überraschung. Vielleicht war er ungewöhnliche Orte für ungewöhnliche Begegnungen gewohnt. Ein Hang im Wald über Sankt Wilhelm.

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