Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Ahnung, wie es ihm ging. Ob es ihm schlecht ging, und wenn ja, auf welche Weise schlecht. Ob er Angst hatte vor dem, was sie da oben vielleicht erwartete.
»Sag was, Illi.«
»Es geht mir besser, wirklich. Es geht mir wieder gut.« Er legte die Hand an ihre Schulter, nur die Fingerspitzen. So verharrten sie für einen Moment und sahen sich an, ohne etwas zu sehen.
Dann stand Louise auf. »Willst du jetzt einen zerbrochenen Keks vom Polizeiposten Kirchzarten?«
»Ja.«
»Und Wasser?«
»Ja.«
Sie aßen Täschles Kekse, tranken Wasser aus ihrer letzten Flasche. Kletterten weiter.
Wenige Minuten später hörten sie den Helikopter zurückkommen. Sie änderten die Richtung, gingen am Hang entlang zum Bach hinüber, damit Schober sie sah. Kurz darauf rief er an. Gleich habt ihr ihn, sagte er. Noch dreißig, vierzig Meter, dann fallt ihr drüber.
»Und die anderen?«
»Leider keine anderen zu sehen, Louise.«
»Fliegt ihr noch eine Runde? Bitte, Schober. Fliegt noch eine Runde.«
Schweigen. Dann sagte er: »Hans.«
»Hans.« Sie schmunzelte. Hans und Louise.
»Aber dann müssen wir zurück. Sind ja nur ausgeliehen.« Er lachte unsicher.
»Ja.« Sie steckte das Telefon weg. »Dreißig, vierzig Meter, Illi.«
Thomas Ilic nickte und tat nichts.
Sie zog die Waffe, kletterte weiter.
Dann fanden sie den Körper. Im Licht von Thomas Ilic’
Taschenlampe tauchte ein Fuß auf, ein Bein in durchnässter Jeans, ein Oberkörper. Ein nasses, dunkles Gesicht, geschlossene Augenlider. Sie kannte dieses dunkle Gesicht.
Sie hatten Shahida gefunden.
»Illi, sie sind hier«, murmelte sie.
Aus Shahidas rechter Schläfe strömte Blut. Eine kleinkalibrige Waffe, die Wunde hatte kaum Schaden angerichtet.
Nur den Tod gebracht.
Ihr Blick glitt über den leblosen Körper. Eine dunkle, verschmutzte Jeansjacke, ein dunkles Hemd. Auch die Brust war voller Blut. Links, in der Herzgegend, war der Stoff der Jacke zerfetzt. Eine Kugel in die Brust von vorn, eine Kugel in die Schläfe von der Seite. Sie hatten sicher gehen wollen.
Was war geschehen? Warum hatten sie Shahida erschossen?
Und wo waren sie? Wo war Jamal? Louise hob den Blick, ließ den Lichtkreis der Taschenlampe über den Wald auf beiden Seiten des Baches gleiten, sah nur Bäume, Gebüsch, Regen.
Sie wandte sich Thomas Ilic zu, der noch immer auf Shahida hinabstarrte. Sie berührte seinen Arm. »Wir müssen Rolf anrufen.« Er nickte.
Sie kniete neben der Leiche nieder, legte die Hand an ihre Wange. Die Haut war warm, Shahida konnte nicht länger als eine Stunde tot sein. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr linkes Auge blutunterlaufen war. Dass die linke Schläfe und die linke Wange blaue Male aufwiesen. Sie hatten sie geschlagen, dann zweimal auf sie geschossen.
Sie hob den Saum der Jacke an. Der Stoff von Jacke und Hemd war blutgetränkt. Die Brust schien sich zu bewegen.
»Sie lebt«, murmelte Thomas Ilic.
Erschrocken sah Louise auf. Shahidas Augen standen jetzt halb offen. Folgten ihr, als sie sich bewegte. Vorsichtig legte sie die Hände an die dunklen Wangen, starrte in die dunklen Augen.
»Ruf Rolf an, Illi«, flüsterte sie und begann, die dunklen, warmen Wangen zu streicheln. Sie dachte an Shahidas ausgetrocknete, wüstenähnliche Heimat, daran, dass sie jetzt in einem fremden Land im Regen starb. Dass ihr das Leid tat, obwohl Shahida eine Mörderin und Terroristin war.
Sie hörte, dass Thomas Ilic mit Bermann sprach, plötzlich rief, sie bräuchten Verstärkung, sie bräuchten einen Rettungshubschrauber, sie hätten Shahida gefunden, sie ist schwer verletzt, Marcel und seine Leute sind hier, schick uns doch endlich Verstärkung …
Ruhig, Illi, dachte sie, sie stirbt, sei doch ruhig.
»Wir brauchen Hilfe, Rolf!«, rief Thomas Ilic.
»Ruhig, Illi.«
Die dunklen Augen lagen noch immer auf ihr. Sie versuchte zu lächeln, aber sie spürte, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
» Shahida « , flüsterte sie, » help will come. «
»Hör doch zu, Rolf!«, rief Thomas Ilic.
»Illi, bitte!«
»Sie sind alle hier«, sagte Thomas Ilic.
»Shahida«, flüsterte Louise.
Sie spürte den langen, letzten Atemzug. Dann glitten die dunklen Augen kaum wahrnehmbar zur Seite.
Minutenlang saßen sie nebeneinander in der Dunkelheit, warteten, ohne zu wissen, worauf. Vielleicht auf Marcel oder Jamal, die in der Nähe sein konnten, die auch längst fort sein konnten, vielleicht auf Bermann, der nun endlich Kollegen schicken würde, selbst mitkommen würde,
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