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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Im Sommer der Mörder
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Halbschlaf, dann schloss sie die Augen und schlief wieder ein. Irgendwann in diesen Stunden bekam sie von irgendjemandem erzählt, was auf der Lichtung am Rappeneck geschehen war, nachdem der Helikopter abgehoben hatte. Bermann war Sekunden später mit ein paar MEK-Kollegen eingetroffen. Er hatte sie zum Wanderweg hinuntergetragen, mit ihr auf die Sanitäter gewartet.
    Hatte sie zum zweiten Mal in diesen Tagen gerettet – zum zweiten Mal, fand sie, reichlich spät.
    Sie begann, sich in ihrem kleinen weißen Krankenzimmer wohl zu fühlen. Den ganzen Tag liegen, schlafen, nichts tun, das war doch mal was. Nachdenken, die Gedanken strömen lassen.

    Im Kanzan-an hatte sie monatelang kaum etwas anderes getan, in den wenigen Wochen Freiburg war sie nur selten dazu gekommen.
    Nachdenken, dachte sie und schlief ein.

    Wenn sie aufwachte, galten ihre ersten Gedanken Marcel. Hatte er ihr das Leben gerettet? Hatte er sogar in den letzten Momenten auf der Lichtung die Strippen gezogen? Marcel, der das eine tat und anschließend das Gegenteil und im Widerspruch keinen Widerspruch sah. Der die Regeln brach, um die Regeln zu schützen. Wie konnte er mit diesem Widerspruch leben? Wie konnte man mit Menschen wie ihm leben? Aber »Regeln« war vielleicht das falsche Wort. Schließlich ging es um grundlegende Übereinkünfte. Du darfst nicht Menschen gegen ihren Willen außer Landes bringen. Du darfst nicht deine Pistole an die Schläfe einer Verbrecherin setzen und abdrücken. Solche Übereinkünfte. Hier geht das nicht, dachte sie gähnend. Wenn es doch passiert, verändert das die Basis. Dann sind wir nicht mehr die, die wir zu sein behaupten. Es verändert alles, dachte sie und schlief ein.

    Thomas Ilic kam zum dritten oder vierten Mal. Er sah aus, als hätte er seit Tagen kein Auge zugemacht und seit Wochen nichts gegessen. Schweigend setzte er sich an ihr Bett. Irgendwann schlief sie ein. Als sie erwachte, saß er immer noch da. »Es ist doch nicht deine Schuld«, flüsterte sie. Thomas Ilic nickte und sagte nichts, und dann verschwamm sein Gesicht in einer Sturzflut von Tränen vor ihren Augen. Er reichte ihr Taschentücher, säuberte ihre Nase, saß dann wieder da und sagte nichts. »Es ist doch nicht deine Schuld, Himmel«, wiederholte sie, und Thomas Ilic nickte.

    An einem dieser Tage kamen auch Lisbeth Walter und Heinrich Täschle. Sie setzten sich links und rechts an ihr Bett und versuchten, einander nicht anzusehen. Später weinte Lisbeth Walter. Louise ahnte, was ihr zu schaffen machte. Auch ihre Welt hatte sich verändert. Nichts war mehr wie vor dem Tag, an dem Henny die Polizistin aus Freiburg zu ihr gebracht hatte. Die Hülle um ihre Welt hatte Risse bekommen. Es würde schwierig sein, die Risse zu flicken. Und: Täschle war wieder da. War zu dem einsamen Haus hinaufgestapft, obwohl er dort nicht hingehörte, war wieder in ihren Gedanken. Also weinte Lisbeth Walter, und Louise tröstete sie, bis sie die Müdigkeit übermannte.

    Dann, am Sonntagnachmittag, dünnte der Besucherstrom aus.
    Thomas Ilic kam erneut, blieb für eine halbe Stunde, sagte kaum etwas, sonst kam niemand. Sie hatte befürchtet, dass ihr Vater auftauchen würde, wie im Winter, aber das blieb ihr erspart. Den anderen Bruder dagegen hätte sie, stellte sie überrascht fest, gern an ihrem Bett gesehen. Kleinen Brüdern gefielen Geschichten von Helikoptern und schwarzen Horden und Messern, die sich in Bäuche bohrten. Geschichten aus ihrem Berufsalltag eben.
    Auch Richard Landen hätte sie gern an ihrem Bett gesehen, obwohl dem die Geschichten aus ihrem Alltag nicht gefielen.
    Auch Richard Landen kam nicht.

    Am Dienstagmorgen wurde sie entlassen. Anne Wallmer hatte sich erboten, sie nach Hause zu bringen. Halbblind vom grellen Licht der Sonne ließ sie sich zum Wagen führen. Schon als sie einstieg, war sie in Schweiß gebadet. Die Wüstenhitze war zurückgekehrt.
    Während der kurzen Fahrt schlief sie.
    Anne Wallmer kam mit hoch. In ihrer Wohnung war es heiß, muffig, still. Anne Wallmer öffnete die Fenster, zog die Vorhänge vor. Louise war an der Tür stehen geblieben. Sah den Amerikaner in der Diele, Marcel im Wohnzimmer.
    Die Besucher hatten sich eingenistet.

    Sie ging zum Telefon. Drei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, alle von Freitag, alle von Richard Landen.
    Ich erreich dich auf dem Handy nicht, ich muss sofort nach Japan, unser Sohn kommt heute oder morgen, ich ruf dich aus Japan an … Ich hoffe, du hörst dein Band ab, ich muss

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