Boy 7
zusammen. »E-entschuldige«, stammelte ich. »Ich wollte dich bitten, mir deinen Laptop noch einmal zu leihen. Aber du warst nicht da.«
»Nein, ich war nicht da.« Sie riss mir den Fotorahmen aus der Hand.
»Deine Eltern?«, fragte ich.
Einen Moment glaubte ich, ihr Inneres sehen zu können. Ein trauriger Zug huschte über ihr Gesicht.
»Du vermisst sie sicher sehr?«
Sie nickte in Richtung Laptop. »Nimm ihn ruhig mit.«
Wie abweisend sie auf einmal tat.
»Danke.« Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. »Dann gehe ich mal wieder.«
»Ja.« Sie ließ sich mit dem Foto auf ihr Bett fallen.
Natürlich hätte ich ihr den Arm um die Schultern legen müssen, wie es ihr Vater bei ihrer Mutter auf dem Foto tat. Aber irgendetwas hinderte mich daran. Vielleicht war ich neidisch, weil Lara immerhin wusste, wer und wo ihre Eltern waren. Oder man konnte nur jemanden trösten, wenn man selbst nicht so viel Kummer hatte.
Beim Nightvisionstore konnte man Nachtgläser bestellen, einfach so über Internet. Zumindest, wenn man genügend Geld hatte. Selbst das preiswerteste Fernglas kostete immer noch vierhundert Dollar. Ich zählte meine Scheine. Nein, ich würde mir etwas anderes überlegen müssen. Selbst wenn ich Bobbie nicht bezahlen musste, reichte es nie im Leben.
Ich ging zurück zur Suchmaschine und gab COOP ein. Eine sinnlose Aktion: eine Million Treffer. Enttäuscht betrachtete ich die ersten Seiten. Coop America beschäftigte sich mit nachhaltiger grüner Wirtschaft. Es gab eine Coop Bank, einen Coop online Buchshop und sogar einen Coop Radiosender. Nur Letzteres hatte mit Antennen zu tun, aber Radiosender bewachte man normalerweise nicht wie Fort Knox.
Dann eben die Banken in Flatstaff. Ich fand noch fünf weitere Adressen und notierte sie. Fünf neue Orte, an denen ich das Schlüsselchen ausprobieren konnte.
Dann fiel mir das Foto aus Laras Zimmer wieder ein und ich tippte L. Rogers ein. Ich versprach mir nichts davon, es war halb zum Spaß oder aus Ärger, weil ich noch nicht viel weitergekommen war, aber zu meinem Erstaunen ergab der Suchauftrag etwa tausend Websites. Es gab einen Schriftsteller dieses Namens, einen Manager von CIHA und dann las ich etwas über ein Ehepaar Rogers. Ich klickte die Site an. Volltreffer! Auf dem Monitor erschien ein Foto derselben beiden Menschen, die ich auf dem Foto in Laras Zimmer gesehen hatte. Es war ein Artikel aus einer Zeitschrift: WISSENSCHAFTLER ROGERS NACH GESCHEITERTEM GEHEIMEXPERIMENT VERSCHWUNDEN. Worum es in dem Experiment genau ging, konnte ich dem Text nicht entnehmen. Nur dass es in einem der am strengsten bewachten Gefängnisse des Landes durchgeführt worden war und darauf abzielte, eine Veränderung im kriminellen Verhaltensmuster der Verurteilten zu bewirken. Der zigste gescheiterte Versuch, Verhalten zu beeinflussen, schloss der Verfasser des Artikels.
Deswegen also waren Laras Eltern nach Afrika gegangen, um für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten. Nicht aus Idealismus, sondern um ihrer Blamage zu entgehen. Armen schwarzen Kindern helfen, bis sich der Sturm gelegt hatte und niemand mehr an ihren Fehlschlag dachte.
Ich ließ mich rücklings aufs Bett fallen und dachte an meine eigenen Misserfolge. Das graue Gebäude, in das ich nicht hereingekommen war, das Schlüsselchen, das nirgendwo passte, der nicht auffindbare öffentliche Fernsprecher ... Vielleicht hatte ich diesmal mehr Glück.
Zum dritten Mal beantwortete ich den Anruf auf meiner Mailbox. Das Telefon läutete. Einmal, zweimal.
»Ja?« Eine Frauenstimme.
Ich sprang auf und war gespannt wie eine Feder. »Hier spricht Boy Seven. Nicht auflegen, bitte!«
Wieder erklang im Hintergrund Musik. Dieses Stück kannte ich, ein altes von Tina Turner, bloß war auch ein seltsames Getrommel zu hören, das meiner Ansicht nach nicht auf die CD gehörte. Ich zermarterte mir das Gehirn. Hatte ich das beim letzten Mal auch gehört?
»Möchtest du jemand Bestimmtes sprechen?«, erkundigte sich die Frau.
Ich hörte kaum zu. Meine Ohren lauschten immer noch den Hintergrundgeräuschen. Tatsächlich, ein Trommeln. Wie ein Unwetter, das in der Ferne aufzieht.
»Hallo?«
Trottel, wenn ich nicht aufpasste, würde sie die Verbindung unterbrechen.
»Ja, hallo«, sagte ich. »Können Sie mir sagen, wo Sie sind?«
»Soll das ein Scherz sein oder was?«
»Neinnein, wirklich nicht.« Ich konnte die Geräusche fast greifen. Die Antwort lag auf meiner Zungenspitze. »Ich möchte nur wissen, wo das Telefon
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