Boy 7
ihren blöden Alarmschnüren und ... eine Tankstelle!
Ich lenkte ruckartig nach rechts. Der Fahrer des Mustangs bremste, aber er war nicht schnell genug. Sein Wagen rutschte noch ein Stück weiter und hielt dann neben dem Sicherheitsrand aus Beton, der die Tankstelle von der Straße trennte und so hoch war, dass sich sogar ein Monstertruck die Reifen daran ausbeißen konnte. Für einen Mustang mit einem kitschigen Spoiler war es eine uneinnehmbare Festung. Ein Stück zurücksetzen, um auf das Gelände zu gelangen, ging auch nicht mehr – ein Lastwagen mit einem Chromauspuff versperrte hinter ihm den Weg. Der Lastwagenfahrer hupte laut und so lange, bis der Fahrer des Mustangs beschloss, dann eben doch Gas zu geben. Vorläufig war ich ihn los. Jetzt nur noch hoffen, dass es kilometerweit keine Wendemöglichkeit gab.
Ich fuhr an den weißen Pumpen und einem Laden, in dem Snacks und tausend andere Dinge verkauft wurden, wenn ich den Reklameschildern Glauben schenken konnte, seitlich an das Gebäude heran. Vor der Tür zur Herrentoilette war noch Platz. Ich machte den Motor aus und schaute in den Rückspiegel. Noch immer kein Mustang. Das war der Moment.
Pinkeln!, dachte ich, so fest ich konnte, während ich das Handschuhfach öffnete – yes, ein Verbandskasten. Oh nein, nicht daran denken – Mannomann, was muss ich aufs Klo. Ich löste den Anschnallgurt, nahm meinen Rucksack und sog meine Lungen voll. Mit zitternden Knien stand ich neben dem Wagen. Hoffentlich traute ich mich.
Sobald ich die Tür zum Toilettenraum öffnete, wehte mir Uringeruch entgegen. Nicht gerade eine sterile Umgebung. Ich taxierte die Möglichkeiten und versuchte unterdessen, nur durch den Mund zu atmen. Zwei Urinale, ein abschließbares WC und ein Waschbecken. Ich traute mich nicht, es blind zu machen, aber auch nicht hier im WC-Raum – da hing zwar ein Spiegel, aber es gab kein Schloss an der Tür. Der Fahrer des Mustangs würde bestimmt zurückkommen und mich davon abhalten wollen. Nein, es musste in dem abschließbaren WC passieren. Mit Spiegel.
Ich hielt meinen Rucksack am Handgriff fest und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen den Spiegel über dem Waschbecken. Durch Laras Laptop – ich hoffte nur, dass die Festplatte es aushalten würde – hatte die Tasche ausreichend Schwung, um einen kräftigen Riss zu verursachen. Es sah aus wie eine Narbe, genau auf Ohrenhöhe des Jungen mir gegenüber. Ein Spiegel mit hellseherischen Fähigkeiten.
Ich holte zum zweiten Mal aus. Mein Spiegelbild zerbrach und das Waschbecken lag voller Scherben. Ich suchte die größte heraus, zog einen Meter Papierhandtücher aus dem Spender und nahm alles mit in das abschließbare WC. Hier stank es noch schlimmer, obwohl über meinem Kopf ein Fenster geöffnet war. Und ich fand es sehr warm dort, aber das konnte auch an meiner Nervosität liegen. Ich zog den Sweater aus und hängte ihn an den Türhaken. Nicht aufgeben. Denk an Louis.
Ich klappte den Klodeckel hinunter und setzte mich. Die Spiegelscherbe stellte ich auf den Klopapierrollenhalter. Erst rutschte sie immer weg, aber als ich die schärfste Spitze in den schmalen Spalt zwischen Halter und Wand pikste, blieb sie leicht schräg an die Wand gelehnt stehen. Eine perfekte Position – ich konnte sitzen bleiben und dennoch mein Gesicht sehen.
Meinen Rucksack benutzte ich als Tisch für den Verbandskasten und die Papiertücher. Eine Flasche Jod. Verbandmull und Watte. Leukoplast. Eine Schere. Ich legte die Utensilien in den aufgeschlagenen Deckel. Und dann das Allerwichtigste – ich ritschte das Seitenfach des Rucksacks auf –, Bobbies Teppichmesser. Es lag schwer und kühl in meiner Hand und ich war auf einmal gar nicht mehr kaltblütig, sondern nur noch sterbensbang. Der Plan, der sich in Bobbies Schuppen in meinen Kopf genestelt hatte, schien mir wirklich wahnsinnig. Und zwar nicht in der Bedeutung von außergewöhnlich, übermäßig oder grenzenlos – wie bei wahnsinnig schlau –, sondern im Sinne von verrückt und irrsinnig. Wie konnte ich mir ohne Betäubung in die eigene Haut schneiden wollen? Ich könnte in Ohnmacht fallen, eine falsche Stelle treffen und verbluten. Und angenommen, es gelang wirklich? Dass ich diesen Mikrochip entfernen konnte und mit dem Leben davonkam? Dann könnten die Folgen immer noch schrecklich sein. Vielleicht würde ich erneut all meine Erinnerungen verlieren, meine neuen Erinnerungen – alles, was ich in den vergangenen Tagen gemacht und entdeckt hatte. Oder,
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