Boy 7
Sie suchte jetzt fieberhaft wie ein Schatzgräber, mit immer röter werdenden Wangen.
»Ich habe noch mehr Gäste, gute Frau. Hat ihr Sohn nicht zufällig Geld bei sich?«
Gut so. Jetzt brauchte ich den Ball nur noch einzuköpfen.
»Ich hole schnell Paps’ Geldbeutel«, sagte ich und ging los.
»Aber ...«
Ich hob die Hand. »Gleich wieder da!«
Es fiel mir irre schwer, die Bar in normalem Tempo zu verlassen. Meine Beine wollten durchstarten. An der Tür schaute ich mich noch einmal kurz um. Sogar von hier konnte ich den Zweifel auf dem Gesicht des Pferdeschwanzes erkennen. Ich hatte Riesenglück mit dem Barmann. Er stand mit verschränkten Armen neben seinen Getränken und wartete so demonstrativ, dass sich der Pferdeschwanz nicht traute, hinter mir herzulaufen. Ich winkte noch einmal, um sie zu beruhigen, und verschwand in Richtung Bowlingbahnen. Ein Täuschungsmanöver. Sobald sie mich nicht mehr sehen konnte, schlich ich an den Pflanzenkübeln entlang zum Empfangsraum.
Das Mädchen war mit einigen Kunden beschäftigt. Blitzschnell öffnete ich das Schließfach. Ein paar Bowlingschuhe, mehr war nicht drin. Ich nahm sie heraus und lehnte das Notizbuch aufrecht an die Rückwand. Schuhe wieder hinein. Den leeren Stick dazwischen. Ich schloss das Fach und steckte den Schlüssel wieder in die Hosentasche. Sieben Sekunden, allerhöchstens.
Jetzt noch die Nachricht auf die Mailbox. Zwischen den Schließfächern und den Garderoben hing ein altmodischer Münzfernsprecher. Ich kramte ein wenig Kleingeld aus dem Geldbeutel des kahlen Weißkittels, nahm den Hörer vom Haken und warf eine Münze in den Schlitz. Mit den Zähnen zog ich meinen Hemdsärmel hoch, damit ich die Nummer auf dem Arm lesen konnte. Eintippen.
Louis und ich hatten lange über den Text nachgedacht, den ich hinterlassen sollte. Wenn mein Fluchtversuch misslang, würden die Weißkittel das Handy finden und die Mailbox abhören. Also durfte ich nichts von Rocky’s und dem Notizbuch sagen. Außerdem war es nicht sinnvoll, meinen Namen zu nennen. Dann würden sie wissen wollen, weshalb ich den nie vergessen hatte. Gelang mein Fluchtversuch jedoch, war es wichtig, dass ich nicht zur Polizei ging. Ich wollte nicht noch einmal in die verräterischen Hände von Jones fallen.
»... nach dem Ton«, erklang eine Frauenstimme aus dem Hörer.
Endlich! Meinem Gefühl nach waren schon Minuten verstrichen.
»Was auch passiert, ruf auf keinen Fall die Polizei.« Ich hängte auf und ging schnell zu Bowlingbahn vier.
Zum Glück, der kahle Weißkittel bowlte lässig allein weiter. »Wo ist mein Bier? Und wo bleibt Viv?«
»Sie hat ihr Portemonnaie verloren.« Ich beugte mich über die Jacke, tat so, als würde ich etwas suchen und schob in der Zwischenzeit den Geldbeutel in die Innentasche zurück. »Ob du es vielleicht vorstrecken kannst.«
Noch immer hatte ich ihm den Rücken zugewandt, suchte den Boden ab und fischte nebenbei das grüne Portemonnaie des Pferdeschwanzes aus dem Pflanzenkübel. »Gefunden!«
Er hatte seine Bowlingkugel zurückgelegt. »Ich komme lieber mal mit.«
Seinem Ton war deutlich anzuhören, dass sich Viv auf etwas gefasst machen konnte.
3
Ich war bereit. Bei meinem nächsten Ausflug würde ich einen Fluchtversuch wagen. Ich konnte es kaum mehr erwarten und das war nicht zu übersehen. Meine Finger trommelten, mein Hintern rutschte hin und her und meine Füße wippten. Es war, als hätte ich keine Muskeln mehr im Leib, sondern Sprungfedern.
»Jetzt reiß dich mal zusammen«, flüsterte Louis mir zu, als wir beim Luftschnappen im Freien wie immer auf der Rückenlehne unserer Bank saßen. »Steve hat dich schon ein paarmal seltsam angeschaut.«
»Seit er gechipt ist, guckt er immer seltsam«. Ich sah zu den Weißkitteln hinüber. »Und das nur wegen dieser Dreckskerle. Was werde ich lachen, wenn die Rollen demnächst vertauscht sind. Sobald ich den Stick bei der Presse abgeliefert habe, sind wir frei und sie kommen hinter Gitter.«
»Sam?« Louis’ Stimme klang auf einmal gepresst. Als schnürte ihm ein enges Gummiband den Hals zu. »Mir fällt gerade etwas ein. Wenn du fliehst, wird dein Gedächtnis gelöscht. Aber meins nicht! Die Weißkittel könnten auf die Idee kommen, deinen Zimmerkameraden zu verhören.«
Die Sonne brannte gnadenlos, aber ich hatte das Gefühl, als stünde ich unter einer eiskalten Dusche. Warum hatte ich nicht früher daran gedacht? Ich hätte ihm nichts von dem Notizbuch und dem Stick erzählen
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