Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
ein Soldat erfüllt seine Pflicht.
Also erzähle ich Vater nichts Genaueres über den gestrigen Abend. Ich konzentriere mich auf meinen Gesichtsausdruck, atme ruhig und gleichmäßig. Ich stelle mir meine Gesichtsmuskeln vor – sie sind entspannt. Wie bei einem Profi.
»Ich fürchte nur, dass du so eine Gelegenheit nicht noch mal bekommst«, sagt Vater.
»Das glaube ich nicht«, erwidere ich. »Schließlich gehe ich jetzt in die gleiche Schule wie seine Tochter.«
»Du meinst also, dass ihr euch wiederbegegnen könnt. Wenn du Glück hast.«
»Jeder ist seines Glückes Schmied. Hast du das nicht immer gesagt?«
»Stimmt.«
Als ich mich auf dem Bett zurechtsetze, spüre ich den Körperabdruck eines anderen Menschen. Bei jedem Auftrag war die Matratze bisher eingelegen. Wie machen sie das nur? Ich stelle mir vor, wie ein riesiges Gerät immer und immer wieder auf die Matratze eindrischt, das Material nach Belieben biegt und formt.
Vater sagt: »Gib mir Bescheid, wenn du etwas brauchst.«
»Klar.«
»Brauchst du irgendwas?«
Ich spüre, wie er mich ansieht. Mein Gesicht studiert, während der Computer es analysiert.
»Ich habe alles, was ich brauche«, antworte ich.
»Gut so, mein Sohn«, sagt er. Dann bricht die Verbindung ab.
Ich sitze in der Schulbibliothek vor dem Computer und surfe im Web.
Die meisten Schüler benutzen ihre eigenen Laptops, Netbooks oder iPads. Aber für alle, die trotzdem einen PC brauchen, hat die Bibliothek in einer Lesenische Computerarbeitsplätze eingerichtet.
Natürlich brauche ich keinen. Ich habe schließlich mein iPhone und das ist sicher. Zumindest vor irgendwelchen Hackerangriffen. Aber vor dem Programm ist es nicht sicher.
Und ich will nicht, dass das Programm mitkriegt, was ich tue.
Dass ich Nachforschungen anstelle.
Eigentlich brauche ich keine Hintergrundinformationen, um meinen Auftrag zu erledigen. Es gehört auch gar nicht zu meinem Job, mir welche zu besorgen. Ich habe den Namen meines Zielobjekts und ich habe meine Ausbildung. Mehr brauche ich nicht.
Normalerweise jedenfalls. Aber bei dieser Mission passieren Dinge, die alles andere als normal sind.
Der Schatten. Wer ist er und für wen arbeitet er? Woher wusste er, dass ich in New York bin?
Sein Komplize hat ihm gestern Abend etwas auf Arabisch zugerufen.
Sams Mutter stammte aus Israel. Und dort ist sie auch ums Leben gekommen.
Im Nahen Osten. Das wäre eine Verbindung.
Vielleicht etwas weit hergeholt. Aber besser als gar nichts.
Ich durchforste das Internet. Mich interessieren vor allem Berichte über den Tod von Sams Mutter. Ihren Autounfall in Israel. Ich lese diverse Artikel über das Unglück. Und ich schaue mir Fotos von der Beerdigung an.
Eins der Bilder macht mich stutzig:
Sam steht neben ihrem Vater, neben ihm der israelische Premierminister. Hinter ihnen eine Abordnung von Soldaten in Habachtstellung. Sie sehen alle starr geradeaus.
Alle, bis auf einen.
Einer sieht Sam an.
Das könnte natürlich am Kamerawinkel liegen. Oder es ist einfach Zufall. Vielleicht muss er gerade niesen. Oder er sieht jemand ganz anderen an, jemanden, der außerhalb des Bildrands steht.
Aber es könnte auch etwas anderes sein, etwas, das mit Sam zu tun hat.
Die Aufnahme ist nicht scharf genug, um das Gesicht des Soldaten genau zu erkennen. Und doch kommt mir der Typ irgendwie bekannt vor.
»Wie war die Party?«, fragt Howard, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Er setzt sich neben mich.
Ich schließe unauffällig das Browserfenster, bevor er einen Blick darauf werfen kann.
»Ganz okay. Warst du etwa nicht da?«
»Ich war eingeladen, bin aber nicht hingegangen.«
»Warum denn nicht?«
»Ich geh nicht auf Partys.«
»Und wieso?«
»Wegen der ganzen Leute.«
»Was hast du gegen Leute?«
»Ich komm einfach nicht klar mit ihnen. Jedenfalls nicht mit denen aus meiner Schule.«
»Aber mit Sam kommst du klar.«
»Mit der schon.«
Er zieht den Kopf ein und starrt auf den Boden. Das macht er ständig. Wie ein geprügelter Hund.
»Aber hast du denn keine Lust, die Wohnung des Bürgermeisters zu sehen? Dafür kannst du doch mal ’ne Party durchstehen.«
Er zuckt die Schultern.
»Ich war vor ein paar Jahren mal da«, sagt er und hebt wieder den Kopf. »Hast du Sams Zimmer gesehen?«
»Wie kommst du darauf, dass ich ihr Zimmer gesehen haben könnte?«
»Keine Ahnung. Ich dachte, sie hat’s dir vielleicht gezeigt.«
Ich höre ein lautes Gähnen vom anderen Ende des Raums.
Ich sehe mich in der
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