Braeutigame
ue, glaube ich. Dass ich nicht… nicht ganz beieinander bin, ja? Denken Sie das?“
„Nein, das nicht, Frau Lampe, aber Sie müssen doch zugeben, dass Sie da für eine alte Dame eine… etwas ungewöhnliche Reise.. .“
„Meine liebe Frau Petersen, damit wir zwei uns von Anfang an richtig verstehen und gar keine Irrtümer aufkommen… – ich weiß sehr wohl, warum ich hier bei Ihnen bin und was ich tue. Ich weiß das viel besser, als Sie und Ihre junge Kollegin sich überhaupt vorstellen können. Ich habe nicht ein hartes Leben hinter mich gebracht, um mein Geld im Alter zum Fenster hinauszuwerfen für Lustreisen in Spanien oder ich weiß nicht was, und ich finde Ihre Art… unangemessen. Ja: unangemessen. Das ist das r ichtige Wort. Ich bin doch nun I hre Kundin.“
Sie atmet tief durch.
Ines starrt auf ihren Bildschirm.
„So, Frau Petersen, d ann hätten wir das geklärt. Und jetzt würde ich gerne eine gute Tasse Tee von Ihnen bekommen, es zieht hier. Oder ist Ihre blaue Teekanne hinten auf dem Stövchen zur Zierde gedacht?“
Ines sitzt regungslos auf ihrem Stuhl, während Frau Petersen die Zigarettenschachtel aus ihrer Schreibtischschublade holt. „Darf ich?“
„Aber bitte“, sagt Frau Lampe. „Rauchen Sie. Wissen Sie, es sind jetzt fünfzig Jahre, dass ich nicht zurück konnte. Nicht durfte . Fünfzig Jahre, mehr als mein halbes L eben, ich bin damals weg mit Anfang zwanzig – gut ein halbes Jahrhundert ist das her. Haben Sie eine Vorstellung, wie lange das ist?“
Ingrid Petersen erwidert nichts und zieht an ihrer Zigarette. Sie sieht die Kundin an, ihre Augen, ihre feinen, weißen Haare, die Falten zwischen Nase und Oberlippe, die braunen , wunderbar weich aussehenden Lederhandschuhe an den Fi ngern .
Frau Lampe öffnet ihre Tasche und holt ein Bündel Banknoten hervor, Fünfhundert -Mark-Scheine. „Und um das Geld, Frau Petersen, brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Ich habe es ja gleich mitgebracht. Hier. Das wird nicht für alles reichen, aber doch zumindest für diese Anzahlung, von der Sie sprachen. Und wenn Sie jetzt bitte diesen Flug eintragen würden – oder wie man das sagt…? Hier ist die Liste.“
Ingrid nimmt den Zettel und überfliegt die mit Hand geschriebenen Namen: ich (Alma) , Theo, Véronique, Tobias, Anna, Rosina, Minna, Georg (und Kinder) , Lilli und Kali…
„Ines“, sagt sie schließlich, „würden Sie so gut sein und uns allen frischen Tee machen? Oder hätten Sie lieber einen Kaffee, Frau Lampe, oder ein Glas Wasser?“
„Ich bin Teetrinkerin, danke. Ohne Milch und Zucker. Und nicht zu stark, bitte. “
Ines steht langsam auf, sieh t irritiert zu Frau Petersen hin über und geht stumm in die Küche, ohne zu protestieren.
„Und Ines, noch etwas“, ruft Ingrid nach hinten. „Hängen Sie bitte das Schild in die Tür und schließen Sie ab, ja ? Wir haben geschlossen… – Ihre Sache“, zur Kundin gewandt, „bringen wir jetzt natürlich noch auf den Weg. In aller Ruhe.“
„Gut, ja.“
„Also – dann lassen Sie uns noch einmal von vorne anfangen. Lampe heißen sie, L, A, M, P, E. Richtig so?“
„Jawohl, wie die Lampe.“
„Und wie ist Ihr Vorname?“
„Alma.“
„Gut. Alma Lampe also.“
Ingrid Petersen sieht sie an.
„ Die Alma Lampe?“
Teil II
Kapitel 2: Arthur
Leipzig, Bessarabien, August 1932
„Aaaaaaahl-maaaa!“
„Haaaaaaaahhhhl-maaaaaaa!!!“
Rief man nach ihr?
Es konnte nicht sein. Sie arbeitete auf dem Baschtan ihrer Familie, fünf Werst vom Dorf entfernt .
Sie schaute auf und ließ ih re Hacke auf den trockenen, staubig en Ackerboden fallen. Ihre Augen suchten den Rand des Gemüsefelds ab. Wo der Feldweg begann, der nach Leipzig führte, den Hang hinunter ins Unterdorf, stand der Wagen mit den Harbusen. Nich ts.
Es rief keiner.
Sie war allein.
Sie war in der Kühle des Morge ns, bevor der Nebel im Tal und der Tau auf den Gräsern und Spinnweben verschwa nden, mit dem Einspänner die Serpentine an der Südflanke des Bulgarenbergs hinaufgefahren . Es dämmerte. Blauviolette Wolken standen am Himmel.
Der Weg aus dem Dorf verlie f anfangs nach Osten an einem Sonnrosenf eld entlang, deren schwere, braune Köpfe sich neigten, reif für die Ernte. Die Fuchsstute zog den Wagen, der bis auf die Arbeitsgeräte leer war, auf den Bulgarenberg; ruhig; verlässlich; sie kannte den Weg. Rosi e lief ihnen voraus, die Nase am Boden, und sprang durch das Dickicht am Wegrand. Alma liebt e diese Stunde:
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