Braeutigame
nicht: Von diesem Nachmittag an hieß das Kind für ihn Arthur, egal, ob am Ende ein Bruder ode r eine Schwester kommen würde; es war eine ausgemachte S ache. Wenig später hatten sich bis auf die Mutter alle an den Namen gewöhnt und sprachen der Einfachheit halber von Arthur.
Margarete Freier, zum neunten Mal schwanger, spürte jedoch noch im Frühjahr , dass etwas anders war. Im dritten Monat wurde ihr zu m ersten Mal übel, und sie bekam Kopfschmerzen, einen starken, mit keinem Hausmittel zu lindernden Druck hinter den Augen . S ie zog sich an manchen Tagen mehrmals in ihr Schlafzimmer zurück und ließ Oma Mathilde, ihre Töchter und Hedwig mit der Arbeit allein .
„Mit diesem stimmt etwas nicht“, sagte s ie zu ihrer Mutter .
„Eines so, ein andere s so“, erwiderte Mathilde Jeschke und wackelte mit dem Kopf hin un d her, als wäre Margas Gefühl belanglos . Sie selbst war fünf mal schwanger gewesen. Zwei Kinder waren gestorben, eines im Unterleib, das andere, bevor es ein Jahr alt gewesen war.
„Es ist immer Gottes Kind“, sagte sie. „So oder so.“
„War um ist Dr. Prudöhl gekommen?“, fragt e Alma. „Sonst holt Frau Schilling doch allein die Kinder? “
„Arthur m acht e s der Mutter schwer“, sag te Minna. „Der hat sich verkehrt herum reingele gt. Mit den Füßen zuerst will er auf die Welt kommen, und Frau Sc hilling hat es mit der Angst bekommen und Hedwig ins Oberdorf geschickt, um den Doktor zu rufen. Er ist gleich gekommen mit seiner Tasche und der Eisenzange. Den ganzen Weg soll er im Trab gelaufen sein, hat Frau Schilling e rzählt.“
„So? Ich glaube, ich habe den Doktor noch nie laufen sehen.“
„O ja. Es ist eine ernste Sache .“
„Dann komm“, sagte Alma schließlich . „Lass uns zurückfah ren und sehen, was zu tun ist.“
Minna stand auf, klopfte den Staub aus Rock und Schürze und band ihr Kopftuch neu. „Deine Stiefel kannst du auch wieder anziehen“, sagte Alma. „Und dann hilfst du mir rasch, Klara einzuspannen. – Rosie!! Kommst du her? Rauf auf den Wagen mit dir! “
Die Mädchen sammelten die Geräte ein, die Alma auf den Bulgarenberg mitgenommen und im Laufe des Morgens auf dem Feld verteilt hatte.
„Dann los, Klara!“, rief Alma, als sie auf dem Bock saßen. „Heiio!“
Die Stute, die die Aufregung der beiden ge spürt und ihre Ohren aufgestellt hatte, setzte sich sofort in Bewegung.
Unter ihne n im Dorf leuchtete das grüne Kupferdach des Kirchturm s am Ringplatz. Neben der Kirche stand en das Haus von Küsterleh rer Lobgott und die Schule, auf der anderen Seite Chaims Krämerladen und die Kanzlei , in der Emil Giese, Leipzigs Primar, ein Kontor hatte. Hinter dem Ring spiegelte sich die Sonne im dünnen Band des Kogälnik s .
„Sieh mal“, s agte Minna, „da hinten ist Rauch.“
„Mmh.“
„Das wird unsere Küche sein. D ie Winterküche im H aus.“
„Dann ist das Kind noch nicht da. S on st hätten sie die Abzüge wieder gesc hlossen. Bei der Hitze, die heute ist .“
„Glau be ich auch. Arthur ist bis jetzt n icht gekommen. “
„Heiio!!“, rief Alma, und Klara fiel in d en Trab. Sie erreichten den Fuß der Brüc ke, die übe r das Bahngleis an die Kälber Drift führte. An der rechten Seite des Sandwegs lag der Hintergarten der Freiers.
Rosie war aufgeregt, nach Hause zu kommen, sprang von der fahrenden Podwoda , bevor sie die Hofgebäude erreicht hatten, und lief voraus . Lilli und Jakob knieten unter einem Walnussbaum an der Durchfahrt un d spielten. Ihr e jüngsten Geschwister, f ünf und sechs, hatten einen Zinke imer umgedreht und ließen einen rot-blauen Brummk reisel auf de m Blechboden tanzen. Rosie sprang schwanzwedelnd um sie herum und versuchte, Jakob im Gesicht zu lecken.
„Nicht, Rosie“, sag te er und stieß die Hündin weg . „Nicht, pfui!“
Lilli stand auf, putzte mit den Händen den Staub von ihren Knien und lief, ihre Puppe mit einem A rm an den Bauch gepresst , den Schwestern entgegen. Sie war ein stilles Mädchen mit langen, goldenen Haaren und Sommersprossen auf Wangen und Nase.
Alma zog die Zügel an.
„Wart ihr bei der Mutter ?“, fragte sie .
Lilli drehte mit den Fingern Haare zu Ringeln und schüttelte den Kopf.
„Die schreit“, rief Jak ob und zog die Kreiselschnur. „Arg schreien tut die Mutter. Wegen Arthur .“
„Und was macht ihr? Haben sie euch aus dem Haus geschickt?“
„Kreiseldrehe n“, sagte Jakob. Er zog ein Gesicht, als würde er sich dabei langweilen.
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