Braeutigame
sie zum ersten Mal in ihr Geschäft kommen – beiläufig, so unauffällig es geht , von Kopf bis Fuß . Es dauert nur einen Augenblick , bis sie eine Vorstellung davon hat, wie der Urlaub aussehen könnte, mit welchem Ziel, welchem Reisebudget. Die Männer, die ins Geschäft kommen, sind leicht zu durchschauen, findet Frau Petersen. Schuhe und Armbanduhr, Krawatte und Hemd – und sie hat eine Ahnung, ob es mit dem Flugzeug auf die Malediven gehen soll oder mit dem Bus per Gruppenreise ins Elsass. Bei den Frauen ist die Sac he komplizierter. Kleidung und Accessoires sind zu berücksichtigen , Frisur und Sc hmuck, die Handtasche, Fingernägel, Gestik, Mimik, Haltung.
Die Kundin, die mit den Händen ihr weißes, aufgestecktes Haar ord net, hält sich aufrecht wie eine Dame, die Cont enance zu wahren weiß. Ein Feldwebel von Frau, denkt Ingrid Petersen, groß und dünn, im Gesicht hager, mit heller Haut und blauviolett geschlängelten Venen. Die Aug enränder glänzen entzün det. Am Mantel sitzen mahagoni u nd grau marmorierte Hornknöpfe, groß wie Fünfmarkstücke; auf ihren Schuhen, wie die Handschuhe aus braunem Leder, Silberschnallen. Der geschnitzte Handgriff des Regenschirms auf dem Heizkörper ist aus leuchtend rot lackiertem Holz, das irgendwie fernöstlich aussieht, denkt sie, japanisch vielleicht… – ja, es gibt für Frau Petersen keinen Zweifel: D ie Dame ist stilvoll und teuer gekleidet . Eine Flusskreuzfahrt, tippt sie. Ein Kurhotel in den österreichischen Alpen, vielleicht sogar in der Schweiz.. . ? Das wäre nicht schlecht.
Die Kundin wendet sich Ingrid Petersens Schreibtisc h zu und nimmt auf einem Stuhl Platz. Aus ihrer Handtasche holt sie eine Leseb ril le mit breitem Rahmen und getönt en Gläser n, hängt sie sich an einer Kette um den Hals und lässt ihre Augen durch das Geschäft wandern. Sie bleiben kurz an Ines hängen , die ihr Schminkzeug auf den Schreibtisch gelegt hat und in der Hocke die zu Bode n gefallenen Zettel einsammelt; an den Metallregale n , auf denen s ich Kataloge und Broschüren mit Bildern von Traumreisen stapeln , auf denen der Himmel immer blau ist; an den Wandbildhalter n mit Aufnahmen von thailändischen Stränden , Berggipf eln in den Rocky Mountains, Barcel ona und Istanbul; an den beiden verblüh en den A nturien links und rechts im Fenster, braun mit einem Rest von rot, wie Sonnenuntergänge. S chließlich wandern ihre Augen zu Frau Petersen.
„Entschuldigen Sie die Unordnung, die ich hier mache mit meinem nassen Schirm. Ich muss aussehen wie ein begossener Pudel.“
„I ch bitte Sie...“
„Was für ein Unwetter.“
„Schrecklich, nicht? Man kann kaum vor die Tür gehen.“
„Das ist wohl wahr. Aber es ging nun nicht anders. Mein Sohn hat mich geschickt, auch wenn ich nicht mehr gut zu Fuß bin, es pressiert nämlich etwas bei mir, mit meinem Vorhaben. Sie sind doch hier das Reisebüro Petersen? Petersens Weltreisen – so soll das heißen?“
„Da sind Sie richtig. Reise-Welt. Petersens Reise-Welt. “
„Und Sie sind Frau Petersen? Mein Sohn sagte nämlich, ich sollte unbedingt zu Frau Petersen gehen. Also zu Ihnen persönlich , sagte er, wenn Sie es denn sind. Es ist wohl Ihr Geschäft…? Ihre Kollegin ist ja noch sehr jung… –“
„Natürlich, ja, ich bin Ingrid Petersen.“
Ines setz t sich wieder auf ihren Stuhl, lässt Spiegel, Lippenstift und Tasche in der Schreibtischschublade verschwinden und wendet sich, um beschäftigt auszusehen, ihrem Rechner zu. Ihre Finger klappern über die Tastatur, losgelöst von ihren Gedanke n, die um Gunnar kreisen und den bevorstehenden Abend. Sie zwingt sich, ihre Augen auf den Monitor zu richten, und wünscht sich im Stillen, dass die Dame mit dem ro ten Regenschirm bald wieder geht , dass es eine schnelle Anfrage ist, sie nur eine A uskunft benötigt, keine Buchung von A bis Z .
„Wie können wir Ihnen helfen?“, fragt Frau Petersen.
„Ja, liebes Kind, das will ich hoffen, dass Sie mir überhaupt helfen können. Wissen Sie, ich bin etwas unsicher, weil... weil ich noch nie in so etwas war, in so einem Reisebüro. Bei uns hat die Reservierung immer mein Mann gemacht, früher, meine ich, als er noch lebte, und nach seinem Tod hat Rosina das übernommen. Die hat sich auch immer um die Fahrscheine gekümmert, die wir natürlich das eine oder andere Mal brauchten. Aber dieses Mal geht e s nicht anders. Ich muss alles selbst machen. Mein e Rosina hat sich geweigert. Di e gibt sich verstimmt, weil ihr
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