Braeutigame
diese ganze Geschichte gegen den Strich geht.“
„Na sowas. Aber einmal ist immer das erste Mal“, sagt Frau Petersen. „Das kriegen wir beide schon hin. Wohin soll die Reise denn gehen?“
„Ich bin nämlich seit zwölf Jahren nicht mehr gereist. Jedenfalls nicht mehr groß. An die Ostsee fahre ich natürlich – da verbringe ich immer noch viel Zeit, aber das ist ja nicht weit von hier, eine gute Stunde mit dem Wagen. Reisen kann man das kaum nennen. Zuletzt war das vierundachtzig, dass ich weiter weg gefahren bin. Da war ich in Dänemark, oben an der Spitze, wo Ostsee und Nordsee zusammenstoßen. Die ganze Zeit geregnet hat es , und ein Wind geht da, sage ich Ihnen... . Scheußlich.“
„Das ist lange her… aber wissen Sie, Sie sind nicht die erste ältere Dame, die in Urlaub fahren will. Das machen heutzutage viele, auch alleinstehende Frauen und nicht nur die jungen. Sehr viele sogar.“
„Tatsächlich?“
„Aber sicher. Das ist ganz normal.“
„Rosina – das ist meine Haushälterin, seit einer Ewigkeit schon, seit vierzig Jahren, stellen Sie sich das einmal vor – Rosina hat gesagt, dass Leute in meinem Alter überhaupt nicht mehr verreisen sollten. Weil e s zu gefährlich ist, hat sie gesagt, fürs Herz. Da musste ich natürlich laut lachen, als ich das gehört habe – zu gefährlich für s Herz , ich bitt e Sie! Wo kämen wir hin, wenn wir immerzu ans Herz denken würden?!“
Ingrid Petersen muss lächeln.
„ So ist meine Ro sina aber immer gewesen. D ie sieht gleich den Weltuntergang kommen , auch wenn man nur kurz das Ha us verlässt und sich eine kleine Freude gönnen will. Das ist ihre düstere Art. Aber mal ohne jeden Flachs: Mein Sohn Theo hat mir auch abgeraten. Er meint, ich sollte mir die Strapazen einer Reise nicht mehr zumuten.“
„Ach, so anstrengend ist das Verreisen heutzutage gar nicht mehr. Es gibt doch Flugzeuge, da ist man in einem halben Tag am Ziel. Sieben oder acht Stunden dauert das nur, und Sie sind schon in Amerika, auf einem anderen Kontinent. Aber nun mal langsam, eines nach dem anderen. Wohin soll der Urlaub denn überhaupt gehen?“
„In den Urlaub wollte ich eigentlich gar nicht fahren. Das ist eine etwas andere Geschichte bei mir.“
„Wohin wollen Sie denn verreisen? Wir können Ihnen natürlich auch nur eine Bahnfahrt oder einen Flug buchen – das hängt davon ab, was Sie vorhaben. Wollen Sie in Deutschland bleiben oder ins Ausland fahren? Nach Übersee?“
„Hach, Sie machen mir Spaß, Kind. Nein, ich will doch nicht nach Übersee . Ich möchte in meine Heimat, nach Bessarabien.“
I nes’ tippende Finger stocken , verharren für einen Moment über der Tastatur. Sie spürt ein Kribbeln im Bauch, ein Lachen in sich aufsteigen – die Kundin hat Frau Petersen schon wieder Kind genannt, was doch komisch klingt, wo sie längst über vierzig ist, keine richtig alte Frau natürlich, aber auch alles andere als jung und kindlich. Sie zwingt sich, an ihren Vater zu denken: Eugen Harms, Bäckermeister und jener Mensch, vor dem Ines mehr Respekt hat als vor jedem anderen.
Es gelingt ihr, das aufsteigende Kichern zu unterdrücken, und das ist gut so. Ingrid Petersen sieht es nicht gerne, wenn sie herumalbert oder mit Kunde n flapsig ist.
Papa, denkt sie.
Papas dicker, faltiger Stoppelhals.
Ines entspannt sich . Ihre Finger klappern weiter über die Tasten.
Bessarabien – hat sie das richtig gehört? Was das nun sein soll… na, die Chefin wird es schon kennen. Aber die Oma ist wirklich schru llig. W ie die so komisch redet, liebes Kind hier , liebes Kind da , dann auch noch zu Frau Petersen. Ines spürt wieder das Kribbeln im Bauch und zwingt sich, den Mund nicht zu verziehen. So herrschaftlich klingt die, als sei sie die Königin von... von irgendeinem Königtum.
„ Wohin soll e s gehen?“, fragt Frau Petersen.
„N ach Bessarabien.“
„Sagen Sie das bitte noch einmal – was für ein Arabien?“
„Bessarabien. “
„Mensch, das habe ich noch nie gehört. Saudi-Arabien, d as kenne ich, aber da fahren kaum Touristen hin, nur ab und zu ein paar Türken wegen Mekka und der heiligen Stätten.“
„Nein, nein, nein, ich meine doch nicht Saudi Arabien. Bess arabien. Nach Bessarabien möchte ich.“
„Das sagt mir überhaupt nichts, wenn ich ehrlich sein soll. Wo liegt denn das?“ Frau Petersen lächelt sie an.
„Das kennen Sie gar nicht? Komisch. Wie die Zeiten sich doch ändern. Haben Sie das schon nicht mehr in der Schule
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