Bragg 04 - Dunkles Verlangen
dafür leisten, dass er sich Jane gegenüber gewisse Freiheiten herausgenommen hatte? Der Earl hatte Lindley den Kuss immer noch nicht verziehen. Doch inzwischen beurteilte er seinen Freund deutlich milder als sich selbst. Denn wenn er an Lindleys Vergehen zurückdachte, fühlte er sich nur umso deutlicher an das erinnert, was er selbst getan hatte – und das war natürlich unvergleichlich viel schlimmer gewesen. Lindley hatte sich wie ein Gentleman betragen, er selbst dagegen wie ein Rüpel.
Er freute sich, dass Lindley ihm ein solches Angebot machte, war aber noch nicht ganz bereit, darauf einzugehen.
Aber auf der Party würde er sich auf jeden Fall mit Jane blicken lassen.
»Ich möchte nicht auf diese Party gehen«, hatte Jane am Nachmittag erklärt.
»Wir gehen hin«, hatte der Earl gesagt, und damit war das Thema erledigt.
Als sie in den Salon traten, wurden sie vorgestellt: »Seine Lordschaft, der Earl von Dragmore, und Miss Jane Barclay.«
Sofort erstarben alle Gespräche, und die Köpfe drehten sich in ihre Richtung.
Der Earl nahm Janes Arm und spürte, dass sie zitterte. Doch dann entspannte sie sich ein wenig, und die beiden traten in den Raum.
Die Gräfin kam ihnen entgegen, um sie zu begrüßen. In ihrem schwarzen Samtkleid und mit ihren glitzernden Diamanten bot sie eine blendende Erscheinung. »Lord Shelton, wie schön, Euch wieder einmal zu sehen!« Obwohl sie lächelte, war ihre Angst mit Händen zu greifen.
Nick beugte sich über ihre Hand. »Gräfin, es ist mir ebenfalls eine Freude, Euch zu sehen. Das hier ist Jane Barclay, die Cousine meiner Frau.«
Die beiden Frauen begrüßten sich höflich. Dann geleitete die Gräfin die zwei zu einer kleinen Gruppe. »Ich glaube, Sie alle kennen Lord Shelton, die junge Dame hier ist sein Mündel, eine Cousine seiner Frau. Die Lords Smythe-Paxton und Hubberly, Lady Edding und Lady Townsend.«
»Guten Abend«, sagte der Earl, und die Männer entboten ihm ein steifes Nicken. Doch ihre Blicke waren von Janes Schönheit gefesselt. Sie machte einen Knicks und lächelte scheu. In dem Kleid aus Silberchiffon, das sie anhatte, erinnerte sie an einen Engel.
»Patricia Westons Cousine, was?«, sagte Hubberly, ein ebenso stattlicher wie korpulenter Baron mit grauen Haaren. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist unverkennbar. Obwohl sich nicht einmal die schöne Patricia mit Euch hätte messen können, meine Liebe.«
Jane errötete und bedankte sich leise.
Die dunkelhaarige und sehr schöne Lady Edding musterte völlig unverfroren zunächst Nick, dann Jane. »Barclay. Seid Ihr etwa die Tochter der Schauspielerin?«
»ja«, sagte Jane und hob stolz den Kopf. »Meine Mutter war die in ganz England bekannte Schauspielerin Sandra Barclay.«
Der Earl wich ein wenig zurück. Jane war immer noch bei ihm untergehakt, und er drückte warnend ihren Arm. Hier war nicht der Ort, um mit einer derartigen Herkunft zu prahlen.
Lady Edding und Lady Townsend tauschten viel sagende Blicke. »Ach, dann seid Ihr das also«, sagte die Brünette. Die beiden Damen wandten sich mit erhobener Nase brüsk ab, kehrten Jane einfach den Rücken zu und setzten ihre eigene private Konversation ungeniert fort.
»Diese Schauspielerin war Edward Westons Mätresse«, sagte Lady Edding. »Ich muss schon sagen: mit der illegitimen Tochter einer Schauspielerin hier aufzutauchen. Schwer zu sagen, wer von den beiden hier deplatzierter ist.«
»Angeblich waren die beiden gestern Abend im Theater«, sagte Lady Eddington. »Ich war zwar selbst nicht dort, aber die Herzogin von Lancaster hat mir heute beim Tee davon erzählt. Er soll sogar die Hand des Mädchens gehalten haben.«
Lady Edding schnappte nach Luft. Die beiden Frauen drehten sich um und musterten Jane und den Earl kalt. Auch die Lords Hubberly und Smythe-Paxton wandten sich nun von ihnen ab. Jane sah den Earl an. Sie war den Tränen nahe. »Was sind das nur für böse alte Vetteln«, sagte sie aufgebracht.
Der Earl drängte sie weiter.
»Ich möchte hier weg«, flüsterte Jane empört.
»Begib dich nicht auf das Niveau dieser Leute«, zischte der Earl, der ebenfalls wütend war.
»Aber man kann doch die bösartigen Verleumdungen dieser alten Vetteln nicht unwidersprochen lassen.«
»Doch«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Du musst nur lächeln, höflich und schön zu sein. Dann zeigst du ihnen, was echte Noblesse ist.«
»Etwa so wie du?« – »Das sind doch nur Worte«, sagte er. »Wenn dir diese Leute nicht genauso
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