Bragg 04 - Dunkles Verlangen
wieder in der vornehmen Gesellschaft etablieren konnte. Denn das war die einzige Chance, für Jane eine gute Partie zu finden.
Trotzdem war die Angst da: tief in seinem Innern.
Nach seinen Berechnungen musste die Herzogin von Lancaster mittlerweile etwa Ende vierzig sein. Als Nick vor zehn Jahren mit seinem Großvater zum ersten Mal in London gewesen war, war sie noch eine außerordentlich attraktive und elegante Frau gewesen. Dass sie verheiratet war, spielte keine Rolle. Das fand er schon bald heraus: Als sie ihm nämlich an einem Wochenende auf dem Landsitz des Barons Ridington in einer versteckten Laube ihre Gunst geradezu aufdrängte. Nick war nur zu bereitwillig auf ihre Avancen eingegangen und hatte sich einen Herbst lang aufs Angenehmste mit ihr die Zeit vertrieben.
Auch während seiner Ehe war er der Herzogin noch bisweilen über den Weg gelaufen, seit dem Prozess jedoch nicht mehr. Tatsächlich hatte er London seit dem Prozess gemieden und sich fast ausschließlich in Dragmore aufgehalten. jetzt war er nicht nur erstmals seit Langem wieder in London, er stand auch vor der äußerst heiklen Aufgabe, sich wieder Zutritt zur dortigen Gesellschaft zu verschaffen. Und aus diesem Grund wartete er im Salon der Herzogin auf ihr Erscheinen.
»Fragen der Etikette scheinen dich noch immer nicht zu interessieren«, sagte sie, als sie hereinkam.
Er war entsetzt, wusste es aber zu verbergen. Die Zeit hatte der Herzogin übel mitgespielt. Die rothaarige Schönheit, die er vor zehn Jahren gekannt hatte, war inzwischen eine fast ergraute – hagere – ältere Dame mit Falten im Gesicht. Trotzdem ergriff Nick ihre Hand und beugte sich darüber, verzichtete aber darauf, sie zu küssen. »Verzeih mir.«
Sie hob sein Kinn, um ihm in die Augen zu schauen. »Keine Frau, mit der du so sprichst, könnte dir etwas abschlagen.«
Der Earl wich erschrocken einen Schritt zurück.
»Du hättest deine Karte beim Butler abgeben und dann auf meine Einladung warten sollen«, sagte die Herzogin. »Wobei ja noch gar nicht feststeht, ob ich dich überhaupt empfangen hätte.«
»Ich weiß, Claire. Aber ich konnte nicht so lange warten.«
Die beiden sahen sich an.
Und dann war plötzlich die ganze Vertrautheit längst vergangener Zeiten wieder da.
»Ich habe schon gehört, dass du hier bist. Hast du endlich genug von diesem abgelegenen Landsitz?«
»Nein. Ich brauche deine Hilfe.«
Sie hob eine kräftig nachgezogene rötliche Augenbraue. »Mein Gott, wie romantisch. Der große Earl braucht meine Hilfe? Wozu denn?«
»Ich möchte, dass du mich wieder in die Gesellschaft einführst.«
»Aaach soo. Hätte ich mir ja denken können. Ich kenne dich doch, Nick. Dich hat die Gesellschaft doch noch nie interessiert, weder damals noch – wie ich vermute – heute. Warum also?«
»Ich habe ein Mündel. Ich muss einen Mann für sie finden.«
Die Herzogin lächelte und war plötzlich hellwach. »Und wer ist sie?«
»Die Enkelin des Herzogs von Weston.«
»Ich habe schon gehört, dass es dort noch weiteren – allerdings illegitimen – Nachwuchs geben soll. Dann stimmt das also.«
»Ja, es stimmt. Kann ich auf deine Hilfe rechnen?«
Wieder lächelte sie und berührte sein Gesicht. »Eine Hand wäscht die andere.« Sie ließ ihre Hand auf seiner Wange ruhen. »Ja, ich helfe dir, Nick.«
»Danke.«
Sie legte die Hand seitlich an seinen kräftigen Hals. »Du hast nichts von deiner Schönheit verloren«, murmelte sie und fügte dann nüchtern hinzu: »Komm heute Nachmittag. Um vier.«
Der Earl sah sie an. »Du verlangst also einen Preis?«
»Ich bin eine egozentrische Frau.«
»Ah, verstehe.« Er wandte sich zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »Aber ich bin nicht käuflich.«
»Nick …«
Er nahm Haltung an und ging aus dem Zimmer.
Jane war vor Aufregung ganz zappelig. Sie saß neben dem Earl in der Kutsche und war vor Freude außer sich. Sie schlug die Hände zusammen und sah ihn glücklich an. »Ich kann dir Ja gar nicht sagen, was mir das bedeutet.«
Der Earl blickte sie an. Sie waren auf dem Weg zum Lyceum, wo an diesem Abend der Schauspieler Henry Irving auftreten sollte. Dem Earl war dagegen gar nicht wohl in seiner Haut. Er hatte den Theaterbesuch ganz bewusst arrangiert – um Jane den richtigen Leuten zu präsentieren. Dabei hatte er gar nicht daran gedacht, was ihr ein solcher Besuch bedeuten mochte. Sie hingegen glaubte, dass er die Karten ihr zuliebe besorgt hatte. Ob er ein wenig errötet war?
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