Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
nannte ihm die Nummer, gab die Leitung frei.
Braig spurtete die Treppe vollends hoch, lief in sein Büro, gab die Ziffern der jungen Frau ein. Es läutete zweimal, dann meldete sich die Mailbox. Er nannte seinen Namen und seine Rufnummer, bat sie, sofort zurückzurufen, versuchte es noch einmal, hatte erneut die Mailbox in der Leitung. Verärgert legte er auf.
Was wollte Meisner jetzt, nachdem er tagelang kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, von dieser jungen Frau? Nach all dem, was geschehen war, gab es für ihn nur eine Antwort: Sie war ihm – aus welchem Grund auch immer – genau so lästig geworden wie Lisa Haag. Über die Konsequenz dieser Vermutung musste er nicht lange nachdenken. Caroline Klenk war in Gefahr, in höchster Gefahr.
Was die Sache gravierend verschlimmerte, war die Tatsache, dass der Anruf bereits gestern am späten Abend erfolgt war. Gegen 21.35 Uhr. Vor mehr als fünfzehn Stunden also. Hatte Meisner sich gar in der Nacht noch mit der jungen Frau getroffen? Oder einen Termin für den heutigen Tag vereinbart?
Braig spürte die Anspannung, lief zum Computer, gab den Nachnamen der jungen Frau ein, suchte in Esslingen nach weiteren Personen dieses Namens. Wenn er Glück hatte, wohnte sie noch bei ihren Eltern, und er konnte vielleicht von diesen erfahren, wo sie sich aufhielt …
Er kam nicht dazu, die Liste zu überprüfen, weil sein Handy läutete. Er hatte vergessen, die Rufumleitung vom Festnetz auszuschalten, nahm das Gerät vom Schreibtisch.
»Um 13.05 Uhr, vor fünfzehn Minuten also, wurde Meisners Handy wieder benutzt«, sagte Dolde.
»Wie bitte?«
»Ja, die passen jetzt wirklich auf. Sie sind gerade dabei, den Ort und den Empfänger des Gesprächs zu ermitteln. Es handelt sich um wenige Minuten, bis sie es haben.«
»Du hast ihnen erklärt, um was es geht?«
»Eindringlich, ja. Es sieht so aus, als hätten sie es verstanden. Hier, gerade laufen die Informationen ein. Standort von Meisners Handy: Bissingen.«
»Bissingen?«
»Ja, Bissingen an der Teck.«
»Was will der in Bissingen?« Braig erinnerte sich an seinen Besuch am vergangenen Sonntag bei Dennis Zeller, dem ehemaligen Freund Lisa Haags, überlegte, ob Meisners Aufenthalt in Bissingen mit Zeller in Verbindung stand oder ob er auf bloßem Zufall beruhte.
»Keine Ahnung. Aber hier haben wir den Empfänger des Gesprächs: Caroline Klenk«, fuhr Dolde fort, »wie gestern Abend. Und auch sie hält sich zur Zeit, jedenfalls vor wenigen Minuten, als die Verbindung registriert wurde, in Bissingen auf.«
»Wie bitte? Auch sie ist dort? Das heißt, die wollen sich dort treffen?«
»Das könnte sein, ja.«
Bissingen, überlegte er, Dennis Zeller. Hatte Meisners Aufenthalt dort mit dem jungen Mann zu tun? Und wenn ja, was? »Weshalb?«
»Bissingen. Weißt du, an was ich denke?«, fragte Dolde.
Braig versuchte, sich von dem Gedanken an den Freund Lisa Haags zu lösen, wusste, dass sie sofort reagieren mussten. »Was meinst du?«
»Was hat dir diese Christina Schaufler gestern Abend erzählt? Meisner liebe es, seine Engel auf Ausblicke zu führen, Burgen oder ähnliches und ihnen symbolisch die Welt zu Füßen zu legen. Was liegt bei Bissingen?«
»Mein Gott, du hast Recht. Burg Teck. Schöner kannst du dir die Welt kaum zu Füßen legen.« Der Ausblick war überirdisch, er erinnerte sich noch gut an den Ausflug mit Ann-Katrin. »Wir müssen hin«, sagte er. »Auf der Stelle.«
23. Kapitel
Mittwoch, der 21. Januar, sie hatte ihn lange erwartet.
Marie Luise Ebeling war hoch erfreut über den Wetterbericht, der für diesen Tag prognostiziert worden war: Frühsommerlich warme Luft mit Temperaturen bis zu dreiundzwanzig Grad Celsius, von Morgennebeln in den Flusstälern abgesehen klarer Himmel, nur nachts müsse mit der jahreszeitlich typischen Abkühlung gerechnet werden. Noch im Verlauf des Dienstags hatte sie oben auf der Burg angerufen, sich vergewissert, dass sie auch an ihrem Jubiläumstag bewirtschaftet wäre. Mittwoch, der 21. Januar, ihr siebenundsechzigster Geburtstag, zugleich ihr dritter Hochzeitstag. Wir laufen hoch? Es hatte keiner weiteren Erklärung bedurft, das Wunschziel stand außer Frage.
Kurz nach halb elf an diesem Morgen, nach einem ausgiebigen und gemütlichen Frühstück, waren sie gestartet, mit dem Zug von Bad Cannstatt bis Wendlingen, dann weiter mit der Regionalbahn Richtung Oberlenningen. Eine gute Stunde später hatten sie Owen erreicht. Sie folgten der Bahnhof- und der Amtsstraße bis
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