Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
sie mit Alkohol ab und feierten eine After Work Party – in der Horizontalen, versteht sich. In ihrer Verzweiflung kamen die beiden jungen Frauen auf die Idee, Meisner zu bedrohen und seine Aktivitäten an die Öffentlichkeit zu bringen. Das musste er unbedingt verhindern! … weil sonst all die anderen Opfer wach würden. Das würde eine ganze Lawine von Beschuldigungen auslösen. Der Kerl wäre fällig.«
»Dann benötigt diese Kristin sofort Polizeischutz. Sonst versucht er auch noch, sie zum Schweigen zu bringen.«
Braig seufzte laut. »Menschenskind, wenn es so einfach wäre.«
»Wieso? Haben sich die Gmünder Kollegen geweigert?«
»Nein, das ist nicht der Punkt.«
»Sondern?«
»Diese Lisa ist das Problem.«
»Lisa Haag? Die ermordet wurde?«
Braig hörte die Lautsprecher-Durchsage, dass der Zug jetzt Schorndorf erreiche, wartete mit seiner Antwort. »Zum Glück ist der Wagen leer, sonst könnte ich dir gar nicht alles erklären. Die Sache ist komplizierter.«
»Was ist mit Lisa Haag?«
»Ich dachte bisher, sie sei deshalb ermordet worden, weil sie Meisner mit diesem Schreiben bedrohte.«
»Ja, das klingt doch logisch, oder?«
»Lisa Haag hat diese Zeilen aber nicht geschrieben.«
»Wer denn sonst?«
»Lisa Schlenker.«
»Wer soll das sein?«
»Kristin Röhrigs Freundin. Sie arbeitet ebenfalls als Friseuse, im gleichen Laden. Ich habe mit ihr gesprochen, sie hat es gestanden.«
»Moment.« Neundorf benötigte ein paar Sekunden, sich das Ganze durch den Kopf gehen zu lassen. »Verstehe ich das jetzt richtig: Du willst sagen, dieses Drohschreiben hat mit Lisa Haag überhaupt nichts zu tun?«
»Genau so ist es.«
»Somit wohl auch nichts mit ihrem Tod?«
»Ich fürchte, nein.«
»Falsche Spur also.«
»Ich habe es doch erwähnt: Sisyphos. Der Felsbrocken war fast oben.«
»Oh nein! Das ist vielleicht ein Mist!«
»Du sagst es.«
»Und jetzt?«
»Ich muss wieder bei Null anfangen, wie üblich.«
Neundorf konnte gut nachvollziehen, in welcher Stimmung er sich befand, kannte die Situation aus eigener Erfahrung nur zu gut. Tage-, manchmal gar wochenlang hinter einer vermeintlichen Spur herzurennen, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen und mit ständiger Kaffeezufuhr künstlich wachzuhalten, nur um dann plötzlich feststellen zu müssen, dass es sich um eine Sackgasse handelte, in der es kein Weiterkommen gab. Oft genug war es ihr so ergangen. Genau aus diesem Grund wusste sie aber auch sehr gut, wie wichtig es war, sich in der verfahrenen Situation nicht von depressiven Gedanken überfluten zu lassen, sondern sich neue Ziele zu setzen, alternative Wege aufzuspüren – und sei es, dass man ganz von vorne beginnen musste.
»Was willst du jetzt als Nächstes tun?«, fragte sie deshalb, erfreut seine schnelle Antwort wahrnehmend.
»Ich muss endlich die Jagdhütte aufspüren. Vielleicht hält Meisner sich dort versteckt.«
»Welche Jagdhütte?«
»Er betätigt sich als Jäger. Wir fanden in seinem Haus mehrere Fotos mit einer Jagdhütte im Hintergrund.«
»Das Foto mit Orchitis und Riederich, das du mir auf den Schreibtisch gelegt hast?«
»Welcher Riederich?«
»Na, der Kerl aus meiner Ermittlung, der abstreitet, in weiblicher Begleitung angefahren worden zu sein.«
»Der ist auf dem Foto?«
»Deswegen hast du es mir doch auf den Schreibtisch gelegt.«
»Deswegen? Ich kenne den Mann doch gar nicht.« Braig klang verwirrt. »Der Name kommt mir allerdings bekannt vor. Irgendwo habe ich ihn schon einmal gehört.«
»Wahrscheinlich im Zusammenhang mit meinen Ermittlungen.«
»Vielleicht, ja. Aber was das Foto betrifft: Meisner ist darauf zu sehen und anscheinend Orchitis.«
»Meisner? Nach dem du die ganze Zeit fahndest?«
»Ja. Und weil ich mir nicht sicher war, ob es sich wirklich um Orchitis handelt, habe ich es dir hingelegt.«
»Er ist es, ich habe ihn gleich erkannt. Das ist interessant! Riederich, dieser Meisner und Orchitis auf einem Foto. Drei passionierte Jäger …«
»Ich muss wissen, wo diese Jagdhütte liegt«, fiel ihr Braig ins Wort. Seine Stimme klang aufgeregt. »Ich nehme an, dass Meisner sich dort versteckt hält. Wenn Orchitis und dieser Riederich gemeinsam mit ihm auf dem Bild posieren, müssen sie wissen, wo die Hütte liegt. Das heißt …«
»Du musst mit einem der beiden Herren sprechen.«
»Genau.« Braig legte eine kurze Pause ein, fuhr dann zögernd fort. »Riederich. Das ist also der Typ, der angefahren worden sein soll.«
»Der Vorfall in
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