Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
er deshalb, wahrscheinlich wird sich ein Großteil der über ihn kursierenden Storys als Ansammlung plumper, letztendlich unberechtigter Vorurteile erweisen. In drei, vier Monaten werden die meisten Kollegen ganz anders über ihn reden. Er versuchte deshalb, seine Irritation über das Auftauchen des Staatsanwalts hier am Tatort und über das ungewohnte Phänomen, dass der Mann zu einem solch frühen Zeitpunkt schon über das Verbrechen informiert war, zurückzustellen und sich vorurteilslos auf die Zusammenarbeit mit ihm einzulassen.
»Braig ist mein Name«, stellte er sich vor, vorsichtig seine Rechte zurückziehend, bevor der andere noch einmal auf die Idee kam, sie zu berühren. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann Leute, die beim Grüßen nur die Handfläche aneinanderrieben statt richtig zuzupacken. Einen nassen Waschlappen konnte er sich zu Hause selbst herrichten.
Er starrte ins Innere der Kabine, glaubte nicht richtig zu sehen. Der leblose Körper eines Mannes hing schlaff wie eine übergroße Puppe quer über der offenen Toilettenschüssel, Kopf, Schulter und Arme auf der linken, die Beine auf der rechten Seite. Ein grotesker Anblick. Braig spürte, wie es in seinem Magen rumorte, schluckte.
»Eine sehr bedenkliche und – lassen Sie es mich so formulieren – unerquickliche Dislokation, wia?«, hörte er die Stimme Söderhofers. »Wie geht es Ihren Söhnen?«
Braig starrte auf die Leiche vor sich, zurrte die Plastiküberzüge zurecht, die er ebenso wie der Staatsanwalt auf Geheiß eines vor der Tür postierten Beamten vor dem Betreten der Toilette über seine Schuhe gestülpt hatte, wusste nicht, worauf die Frage zielte. Ann-Katrin, seine Lebensgefährtin, war zwar im achten Monat schwanger, allerdings mit einem Mädchen, wie die Aufnahmen der Gynäkologin zu ihrer gemeinsamen Freude eindeutig ergeben hatten. »Söhne?«, murmelte er deshalb irritiert vor sich hin.
Der Tote war gut gekleidet; ein silbergrauer Anzug, dessen Jacke größtenteils in die Toilettenschüssel hing, schmale schwarze Schuhe, eine dunkelblaue Krawatte, die jetzt senkrecht von seinem Hals herunter auf den Boden fiel. Braig sah, dass er kurz geschnittene dunkle Haare hatte, ein – soweit das in dieser ungewöhnlichen Position zu beurteilen war – breites, von dichten Augenbrauen geprägtes Gesicht und sich wohl einen Drei-Tage-Bart hatte wachsen lassen. Vom Alter her schwer einzuschätzen, wohl Anfang oder Mitte Vierzig, auf jeden Fall viel zu früh und deutlich sichtbar gewaltsam aus dem Leben geworfen. Er betrachtete die linke Schläfe des Mannes, sah eine große blutverkrustete Wunde, die bis zum Hinterkopf reichte, beugte sich über die Leiche, entdeckte auf der anderen Gesichtshälfte eine weitere, etwas kleinere Wunde. »Er wurde erschlagen«, überlegte er laut, »mit einem harten Gegenstand, wenn ich das richtig sehe.«
»Eine sehr unerquickliche Dislokation. Und das ausgerechnet in unserer Liederhalle.« Söderhofer setzte zu weiteren Worten an, wurde von der eilig aufgerissenen Eingangstür und lauten Stimmen überrascht. Drei in hellgrüne Plastikoveralls gekleidete Männer betraten die Toilette, betrachteten verwundert die beiden Anwesenden, dann den Toten.
»Alle Idiote von Sindelfinge, der Sparrefantel scho wieder. Ihr hent mir hoffentlich nix agrührt«, blaffte Helmut Rössle, einer der Spurensicherer des Landeskriminalamts. Sein vorwurfsvoller Blick haftete auf der Zigarette des Staatsanwaltes, deren graublauer Rauch zur Seite stob.
»Sie halten uns wohl für Idioten, was?« Söderhofers gereizter Ton war nicht zu überhören.
»I wüsst nix, was dagegen spricht. Glimmstengelgepaffe mit fein verteilter Asche am Tatort, do erübrigt sich jedes Wort.«
Der Techniker schaute an dem Mann vorbei in die Kabine, musterte den Toten. Lars Rauleder, ein weiterer Spurensicherer, klopfte Braig auf die Schulter, ließ dem dritten Neuankömmling den Vortritt. Dr. Holger Schäffler, der Gerichtsmediziner, reichte dem Kommissar die Hand und nickte dem Staatsanwalt kurz zu.
Er kennt den Mann anscheinend schon, überlegte Braig, trat dann vom Eingangsbereich der Kabine zurück. Einer nach dem anderen begutachtete ausführlich den Toten.
»Wer ist der Mann? Weißt du, um wen es sich handelt?«, fragte Rauleder.
Braig schüttelte den Kopf. »Woher? Ich bin eben erst gekommen.«
»Ihr habt ihn nicht angerührt?«
»Ich nicht«, erklärte er mit Nachdruck, schaute dann zu dem Staatsanwalt, der gerade tief
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