Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Tür ins Schloss fiel. »Zum Glück sind mir den überkandidelte Großkotz los. Dem hent se net nur oi Mol ins Hirn gschisse.«
2. Kapitel
Als alles vorbei war, fand sie endlich langsam zur Ruhe.
Wochen-, ja monatelang hatte sie intensiv darüber nachgedacht, ob und wenn ja, wie es zu bewerkstelligen wäre, ob sie es wirklich riskieren und wie sie es zu einem glücklichen Ende bringen könne. Tage der Hoffnungs- und Mutlosigkeit hatten sich aneinander gereiht, Stunden der Verzweiflung und Resignation hatten ihr jeden Mut geraubt. Ohnmacht und Depression schienen ihr Schicksal. Nacht für Nacht hatte sie wach gelegen, sich schwerfällig im Bett hin- und her gewälzt, erst nach langen, von ausschweifenden Gedanken geprägten Stunden zu einem unruhigen, von wirren Träumen begleiteten Schlaf gefunden, jeder Zoll ihres Körpers angefüllt von dem Bewusstsein, dass es keine Gerechtigkeit gab, nicht auf dieser Welt, nicht in diesem Land, nicht in den Hirnen und Händen der Mächtigen, die diese Gesellschaft regierten.
Sie hatten sie betrogen, sie ausgetrickst und niedergemacht mit einer Skrupellosigkeit, die jedes Vergleichs entbehrte, einer kaltblütigen Ansammlung von Lügen, die sie nicht einmal ihren verruchtesten Feinden zugetraut hätte. Wie ein Tsunami war es über sie hereingebrochen, eine Riesenwelle, die alles unter sich begrub, im Bruchteil von Sekunden alles überrollte und unwiederbringlich zerstörte. Die Arbeit, die Anstrengung, die Mühe ihres Lebens, unzähliger Jahre, – nichts hatte gezählt, überhaupt nichts gegolten, als null und nichtig hatten sie es abgetan, einfach achtlos zur Seite geworfen. Sie war ihnen, ihrer Gier nach Macht und Geld, in die Quere geraten, hatte sich ihnen entgegengestemmt statt von Anfang an zu kuschen und ihnen die Fußsohlen zu lecken und war deswegen zermalmt worden wie der frisch auf den Untergrund ausgebreitete Asphalt unter einer Walze. Und beinahe hätten sie ihr Ziel erreicht, sie mundtot gemacht, wehrlos, erniedrigt, gebrochen, wie so viele andere in diesem angeblich so sozial ausgerichteten System, bis ihr plötzlich die Idee gekommen war, die alles verändert, ihr neue Kraft und frischen Mut vermittelt hatte und sie endlich wieder zu der Person hatte werden lassen, die sie einst gewesen war: Die selbstbewusste, fleißige, aber auch kämpferische und wagemutige Frau, die sich von solch verkommenen Typen und Institutionen nicht einfach unterbuttern ließ.
Was den Ausschlag gegeben hatte, sich nicht damit abzufinden, nicht liegen zu bleiben und den Dreck zu fressen, den sie ihr zugedacht hatten, wusste sie heute noch so gut wie damals, als sie es zum ersten Mal gehört hatte. Ausgerechnet in der Kirche war es gewesen, als die Pfarrerin den Text zitiert hatte, den Text, der ihr neuen Mut verschafft, die Gedanken an Wiedergutmachung, Rache, Vergeltung in ihr hatte wach werden lassen. War das die Lösung, der Weg heraus aus ihrer aussichtslosen Situation?
Sie hatte die Pfarrerin um das Original des Wortlauts gebeten, das Blatt freudig entgegengenommen, sich aufrichtig dafür bedankt. Wochenlang hatte sie spekuliert, lange nachgedacht, Nacht um Nacht darüber gebrütet. Bis ihr endlich klar geworden war, dass das und genau das die richtige Lösung war, ihr Wiedergutmachung zu gewähren, – der Weg, ihr wenigstens einen Teil von dem, was sie ihr geraubt hatten, zurückzugeben. Nur einen Teil, aber wenigstens den. Auch wenn der nicht legal, den Gesetzen des Landes entsprechend war.
Sollte sie sich deshalb davon abhalten lassen? Sollte sie deshalb darauf verzichten, ihre Idee zu verwirklichen? War die Illegalität des Vorgehens Grund genug, von der Sache abzulassen?
Sie musste nicht lange nachdenken, darauf eine Antwort zu finden. Was sie ihr angetan, wie sie sie in den Dreck geworfen hatten, spottete jedem Anstand, jeder Moral. Ihre Skrupellosigkeit, ihre verlogene Scheinheiligkeit schrie zum Himmel.
Nein, so oft sie jetzt im Nachhinein auch darüber nachdachte, es hatte nur eine Antwort gegeben: Sie hatte es tun müssen. Sie hatten es nicht anders gewollt. Es war die einzige Sprache, die sie verstanden.
Deshalb bereute sie nichts, nicht eine einzige Sekunde.
3. Kapitel
Dr. Ulrich Enssle war der Schock des frühen Tages deutlich anzusehen. Der mit einem grauen Anzug, einem weißen Hemd und einer dunklen einfarbigen Krawatte bekleidete Mann lehnte zusammengesunken in einem Stuhl in einem der kleinen Tagungsräume im obersten Stockwerk des Kongresszentrums,
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