Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
Jenseits schwebenden Gestalten, wie sie hier bei mir aus und ein gehen. Und dass du anschließend wieder bei mir wohnst – mein großes Ehrenwort. Mogli kann ohne dich doch gar nicht mehr leben, er wird kaum die vierzehn Tage deiner Abwesenheit verkraften.«
Sie erinnerte sich noch genau, wie Theresa ihrem laut schnurrenden Kater bei diesen Worten über den Kopf strich, hatte ihrem Vorschlag dann zugestimmt, auch wenn dieser Impuls nicht aus ihrem tiefsten Inneren gekommen war. Wenn Theresa ihr das Ehrenwort gab, weiter bei ihr wohnen zu dürfen, dann konnte sie ihr voll vertrauen, ohne jedes Wenn und Aber. Theresa war anders als die anderen, trotz ihres seltsamen Berufs und der vielen Tattergreise und abgetakelten Hexen, mit denen sie allzu oft zu tun hatte. Ein Ehrenwort aus ihrem Mund, das hatte Hand und Fuß, soviel war ihr inzwischen klar – ganz im Gegensatz zu all den unzähligen Ehrenworten, die sie sich schon von ihrer Mutter und deren jeweiligem Freund hatte anhören müssen. »Das ist garantiert die letzte Flasche in dieser Woche, mein Ehrenwort«, hatte die besoffene Kuh oft genug, halb im Delirium versunken, von sich gegeben, den letzten Tropfen Hochprozentiges gierig aufsaugend. Das große Ehrenwort war noch nicht lange verklungen, als sie schon wieder zu dem Schrank schlurfte, in dem sie ihre Alkoholvorräte gerade versteckte, und nach der nächsten Flasche griff.
Nein, mit Theresa war das anders, das stand außer Zweifel, auch wenn sie kaum jünger war als ihre Mutter. Zwei Jahre, um es genau zu sagen, achtunddreißig die eine, vierzig die andere. Laura sah die Szene noch genau vor sich, als sie sich kennen gelernt hatten. Vor sechs oder sieben Monaten, nicht lange vor Weihnachten. Oh nein, wie peinlich das damals gewesen war! Den Kopf in den Boden stecken und niemals mehr auftauchen – wäre es möglich gewesen, sie hätte sich auf diese Tour davongestohlen.
Ihre Mutter war wieder einmal nicht nach Hause gekommen, nicht gegen achtzehn, nicht gegen neunzehn, nicht gegen zwanzig Uhr. Was das bedeutete, war ihr sofort klar. Sie hatte die »freundliche Einladung«, wie die Alte das immer umschrieb, eines ihrer angeblichen Freunde angenommen und sich nach Schichtende zu einem kleinen Umtrunk einladen lassen, entweder bei einem dieser Typen zu Hause oder in einer ihrer Stammkneipen. Wohin das führte? Zu immer demselben Ende. Gelang es ihrer Tochter nicht rechtzeitig, sie aus den Fängen ihres jeweiligen Mitsäufers zu befreien, war die Alte kaum noch fähig, sich zu bewegen. Laura musste sich beizeiten auf den Weg machen und die Mutter nach Hause schleifen, sonst war alles zu spät.
Auf einem dieser mühsamen Nach-Hause-Wege waren sie Theresa begegnet. Laura schimpfend, verbittert, bis zur letzten Körperzelle erfüllt von Wut auf ihre stockbesoffene Mutter. Die Alte lallend, torkelnd, mit wüsten Schimpfworten um sich werfend, ihre ungezogene Tochter im Visier, die ihr kein, aber auch gar kein Vergnügen gönnen wollte. Plötzlich, mitten auf der Straße war es passiert. Die Alte war stehen geblieben, allen hupenden, lärmenden Autos zum Trotz, hatte heftig gewürgt und sich dann auf die Fahrbahn übergeben. Ein Teil der Kotze war auf dem Blech des unmittelbar vor ihr zum Stehen gekommenen Wagens gelandet. Und dann, mitten in dem Geschrei und Gehupe der wütenden, unvermittelt zum Halten verurteilten Autofahrer, war plötzlich Theresa aufgetaucht, hatte die Alte am Arm genommen und auf den Gehweg geführt.
Laura war überrascht stehen geblieben, hatte die fremde Frau verwundert betrachtet. War das wirklich wahr, was sich hier vor ihren Augen abspielte? Eine Person, die nicht wie alle anderen auf die würgende, am ganzen Leib zitternde Alte einbrüllte oder mit erhobenen Fäusten aus ihrem Auto sprang und auf sie losging, sondern ihr half, die tobende Meute um sich herum überhaupt nicht beachtend?
Theresa hatte ziemlich schnell begriffen, wie es um sie und ihre Mutter stand, das war Laura schnell klar gewesen. Eine ständig trinkende, völlig überforderte allein erziehende Frau mit ihrer minderjährigen Tochter. Wahrscheinlich gehörte es zu Theresas Job, die Lebenssituation bestimmter Menschen ohne langes Nachdenken zu erspüren. Oder es gab in diesem Stadtteil Stuttgarts einfach zu viele Existenzen dieser Kategorie.
Sie hatte sie jedenfalls nicht ausgefragt, weder sie noch ihre Alte, war stattdessen mit ihnen nach Hause gegangen und hatte ihr geholfen, die von allzu viel Alkoholgenuss
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