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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Berger
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gegen den Felsen. Endlich! Ab hier wird der Weg leichter sein. Im Windschatten der Steilwand liegt weniger Schnee und ich schöpfe Hoffnung, die Nothütte noch erreichen zu können. Mein Atem und mein Herzschlag beruhigen sich. Ich schätze die Entfernung zum Biwak auf fünfhundert Meter. Sehen kann ich die Hütte nicht. Das Wirbeln der Flocken um mich herum lässt keine Sichtweite über drei Armlängen zu. Das Tageslicht ist zu einem diffusen Weiß geschmolzen, es wird zu einer vagen, gleichmäßigen Beleuchtung gestreut, die jeden Kontrast gnadenlos verschluckt.

    ***

    Eine dumme Idee war das, den Aufstieg zur ›Ellmauer Halt‹ zu wagen. Der Vertreter des Österreichischen Alpenvereins, bei dem ich den Schlüssel für den Winterraum der Gruttenhütte abholte, hatte mich eindringlich vor den bevorstehenden Schneefällen gewarnt. Die Warnung konnte mich nicht davon abbringen, es trotzdem zu versuchen. Immerhin verfügte ich über die beste Ausrüstung, die man für Geld kaufen konnte, und ein Neuling in Sachen Bergsteigen war ich auch nicht. Dass mich der Mann für verrückt hielt, überraschte mich nicht. Nur jemand, der nicht alle Tassen im Schrank hat, klettert Ende Dezember bei Unwetterwarnung im ›Wilden Kaiser‹ herum – außer, er hat einen gewichtigen Grund.

    *

    Als das erste Tageslicht zwischen den Gipfeln hindurchschimmerte, machte ich mich auf den Weg. Auf der halben Höhe des Waldgürtels begann es zu schneien. Der Schneefall steigerte sich schnell von vereinzelten Flocken zu einem heftigen Gestöber. Ich ließ die Baumgrenze hinter mir, zog meine Kapuze enger und schnallte mir die Schneeschuhe an. Umdrehen war keine Option. Ich würde diesen Berg besteigen! Zumal ich nicht bis auf den Gipfel wollte, sondern zu der Stelle, einhundertfünfzig Meter unter dem Gipfelkreuz, wo ich das Ding versteckt hatte. Ich nannte es noch immer das Ding , da ich absolut keine Idee hatte, was es sein könnte.

    *

    Ich war im letzten Sommer beim Abstieg darüber gestolpert. Es lag einige Schritte abseits vom Weg und war mir aufgefallen, weil ich, einem dringenden Bedürfnis folgend, zwischen die Latschenkiefern gegangen war.
    Ich nahm es hoch und betrachtete es. Es war stabförmig, fünf oder sechs Zentimeter dick, eineinhalb Meter lang und hatte eine metallisch wirkende, absolut glatte Oberfläche. Ein Metallteil dieser Größe hätte erheblich schwerer sein müssen, aber es wog nicht mehr als ein Tennisball. Um seine Festigkeit zu testen, hatte ich es gegen einen Stein geschlagen, was einen schrillen, sirrenden Ton auslöste, der unangenehme Schwingungen verbreitete. Von dem Schlag blieb nicht der geringste Kratzer darauf zurück. Nie zuvor hatte ich Derartiges gesehen, oder davon gehört. Für mich stand nur fest, dass es etwas tat. Es erzeugte ein schwaches Summen, das man hören konnte, wenn man es ans Ohr drückte.
    Da ich es aufgrund seiner Größe nicht hatte mitnehmen können, ohne damit gesehen zu werden, hatte ich es am Fuß eines markanten Felsens unter Steinen versteckt und beschlossen, es zu holen, wenn der Gipfel nicht vor Bergwanderern wimmelte.

    *

    Mein Herz pumpte zuverlässig Blut durch die Adern, lieferte Sauerstoff zu den Muskeln und diese arbeiteten ausdauernd an meinem Vorwärtskommen. Gleichmäßig ausschreitend stapfte ich Höhenmeter um Höhenmeter bergan und zählte in Gedanken die Schritte.
    Eintausendsiebenhundertdreiundneunzig …
    Eintausendsiebenhundertvierundneunzig …
    Mein Körper begann, Endorphine freizusetzen. Eine gelöste Stimmung breitete sich in mir aus. Ich genoss die Stille, die nur vom leisen Rascheln der Schneekristalle, die über meine Kapuze rieselten, und von den Geräuschen meiner Schritte gestört wurde.
    Dreitausendfünfhundertsechsundfünfzig …
    Dreitausendfünfhundertsiebenundfünfzig …
    Die Natur schien ihr Hochzeitskleid zu tragen. Das Massiv des ›Wilden Kaiser‹ war meine jungfräuliche Braut und jeder Abdruck der Schneeschuhe kam einer Defloration gleich.
    Fünftausendzweihundertvier …
    Fünftausendzweihundertfünf …
    Der Wind frischte auf, riss mir die Wölkchen meiner kräftigen Atemzüge von den Lippen hinein in das wirbelnde Stöbern der Flocken. Die Gruttenhütte ließ ich rechts liegen, dort würde ich auf dem Rückweg einkehren, um zu übernachten. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich seit vier Stunden unterwegs war. Ich begann, nach einem Rastplatz Ausschau zu halten.
    Fünftausendneunhundertzweiundneunzig

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