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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Berger
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schreiben?‹, steht da. Nicht das übliche ›Hi‹ oder ›Huhu‹.
    ›Dir auch einen guten Abend‹, tippt er, drückt die Enter-Taste und schickt schnell ›Ja, ich möchte gern mit dir schreiben‹ hinterher, als nicht sofort eine Antwort kommt.
    Dreißig Sekunden lang passiert nichts, dann erscheint ein weiterer Satz auf dem Bildschirm: ›Sorry, ich musste eben die Katze rauslassen.‹
    Sie mag Katzen , denkt Oliver und erinnert sich an die dicke, alte Katze seiner Großmutter, die den ganzen Tag über faul und mürrisch in ihrem Körbchen gelegen hatte. Er hatte sie gehasst.
    ›Ich liebe Katzen. Was für eine hast du denn?‹

    *

    Seit diesem Tag freut er sich jeden Abend auf den Augenblick, in dem er sich einloggen und mit Anna-Maria schreiben kann.
    Sie schreiben jeden Abend.
    Als sie ihm vor ein paar Tagen Bilder von sich schickte, traf es ihn wie ein Blitz. Sie ist schön, mit blonden Haaren, blauen Augen, der keck geschwungenen Nase und einer Figur, die keine Männerwünsche offen lässt. Doch das Beste an ihr ist ihre frische, freundliche, jugendliche Art, ihre Intelligenz und Eloquenz.
    Manchmal blödeln sie nur, manchmal philosophieren sie den ganzen Abend über ernsthafte Themen, und gelegentlich schreiben sie, wie es sich auf einem Erotikportal gehört, über sexuelle Dinge.

    *

    Er hat in letzter Zeit viel verändert: Er pflegt sich, rasiert sich jeden Morgen. Seine Kleidung ist neu und wird nach dem Waschen gebügelt. Die Wohnung ist ordentlich und er trägt, zum großen Erstaunen seiner Arbeitskollegen, ein fröhliches Dauerlächeln im Gesicht.
    Oliver ist verliebt.

    *

    ›Wann schickst du mir Fotos von dir, Oliver?‹
    Seit einigen Tagen fragt sie ihn bereits nach Bildern, langsam gehen ihm die Ausreden aus. Er hat im Profil 183 cm, 77 kg, dunkles, volles Haar, athletische Figur, angegeben. In Wahrheit ist er 169 cm groß, mit 94 Kilo nicht annähernd athletisch und sein blonder, schütterer Haarwuchs findet lediglich an den Seiten seines Kopfes statt. Sein Gesicht ist von tiefen Aknenarben entstellt und zu allem Überfluss hat er sich im Chatprofil zehn Jahre jünger gemacht. Im Netz schummelt jeder , dachte er beim Ausfüllen der Eingabefelder.
    Irgendetwas muss ich mir einfallen lassen , grübelt Oliver und schreibt zurück.
    ›Ich bin vielleicht nicht das, was du dir vorstellst‹, und schnell, bevor er es sich anders überlegt, fügt er hinzu: ›Ich hab im Profil ein wenig geschummelt …‹
    Seine Finger zittern leicht, als er diese Worte tippt. Umso mehr überrascht ihn Anna-Marias Antwort.
    ›Das ist nicht schlimm. Ich mag dich so, wie du bist! Und ich würde dich gerne kennenlernen.‹
    Oliver bemerkt, wie sich sein Herzschlag beschleunigt.

    *

    Die Aussicht, diese tolle Frau real zu treffen, lässt ein leichtes Kribbeln durch seine Lenden ziehen.
    Sofort wird ihm sein nächstes Problem bewusst: Es gibt keine Fotos von ihm! Im digitalen Zeitalter, in dem jeder jeden und alles fotografiert, gibt es keine Bilder, auf denen er zu sehen ist. Keine Schnappschüsse vom Bowling, Minigolf, Badesee, oder aus der Disco. Es fehlt eine unverzichtbare Zutat: Freunde, die diese Bilder knipsen.
    Freunde hat Oliver nicht. Er hat flüchtige Bekannte, Arbeitskollegen. Menschen, die er als Freunde bezeichnen würde, gibt es nicht.

    *

    Bisher gab es keine Notwendigkeit, sichtbare Beweise seiner Existenz zu besitzen. Er hatte nie eins jener peinlichen mit-der-Kamera-in-der-Hand-vor-dem-Spiegel-Fotos von sich gemacht, über die er sich im Chat gern amüsierte. Schmutzige Badezimmerfliesen oder Duschvorhänge im Hintergrund und Oben-ohne-Porträts mit Kloschüssel im Bild sind in Chatprofilen nicht selten.

    *

    Ein teurer Spaß , denkt er, als er mit dem Umschlag das Fotoatelier verlässt. Vierzig Euro für den Friseur und ein Hunderter für die Bilder. Trotzdem ist er zufrieden. Der Fotograf hat sein Bestes getan, um Olivers Problemzonen zu kaschieren.
    So schnell es die öffentlichen Verkehrsmittel erlauben, eilt er nach Hause, fährt den Rechner hoch, legt die CD-ROM mit den Aufnahmen ins Laufwerk und lädt die Kunstwerke auf ›Spider.de‹ hoch.
    Er hat Glück. Einige Minuten später erhält er eine Mail vom Support mit der Mitteilung über die Freischaltung. Anna-Maria ist offline. Er packt die Bilder schnell in eine Mail und schickt sie ihr, um sie damit zu überraschen. Anschließend ändert er seinen Status in ›versteckt online‹ und wartet.

    *

    Auf MTV läuft Johnny Cash – Hurt.

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