BRAINFUCK
Ohne die Musik zu registrieren, starrt er auf die rechte untere Ecke des Bildschirms, dorthin, wo jeden Moment die Meldung: ›Anna-Maria ist jetzt online‹, erscheinen muss.
I wear this crown of thorns, Upon my liar's chair , tönt es aus dem Fernseher, als das ersehnte Pop-up-Fenster erscheint. Kurze Zeit später sagt ihm ein erneutes Pop-up: ›Anna-Maria hat dir eine neue Mail geschickt‹.
Oliver öffnet die Nachricht, seine Finger vibrieren leicht auf der Maus.
›Huhu Oliver, danke für die tollen Bilder. Du hast dir ja richtig Mühe gegeben für mich. -lächel-‹, steht da und sein Herz schlägt höher. Mit steigender Erregung liest er weiter: ›Ich würde dich gerne persönlich kennenlernen, wäre es dir recht, wenn ich dich am kommenden Wochenende besuche? Erwartungsvolle Grüße, Anna‹.
Eine Mischung aus Vorfreude, Angst, sexueller Erregung und Unsicherheit verwirbelt seine Gedärme, und seine Fantasie zaubert Bilder von dem, was zwischen ihm und Anna-Maria passieren wird.
*
In Olivers Kopf entstehen seit drei Tagen surreale Gemälde, die als Hauptinhalt eine sich ihm hingebende Anna-Maria haben. In schillernden Farben malt er sich aus, was er mit ihr anstellen wird. All jene Fantasien, die sich in den letzten Jahren bei ihm aufgestaut haben, schreien nach Verwirklichung.
*
Noch 24 Stunden. Oliver ist vorbereitet. Er beschließt, seine Vorfreude richtig auszukosten, loggt sich bei ›Spider.de‹ ein, um Anna-Marias Bilder anzusehen. Er klickt auf ihr Profil.
›Benutzer 'Anna-Maria' ist unbekannt‹, steht da. Eine schlichte schwarze Zeile in einem weißen Feld. Das muss ein Irrtum sein, vermutlich spinnt der Server , denkt Oliver und versucht es erneut, mit demselben Ergebnis. Nach dem dritten Versuch lehnt er sich im Stuhl zurück, um das Gedankenkarussell in seinem Kopf zu beruhigen, und lässt sich alle plausiblen Möglichkeiten durch den Kopf gehen – ohne befriedigendes Ergebnis. Verwirrt schreibt er eine Mail an den Chat-Support, schildert die Situation und fragt nach den möglichen Gründen für das Verschwinden von Anna-Marias Profil.
Um die Zeit bis zu einer Antwort zu überbrücken, öffnet er eine Flasche Wein und setzt sich vor den Fernseher. Einen Film und drei Gläser Wein später blinkt am Monitor des PCs die Benachrichtigung, dass er eine Mail vom Support hat.
›Hallo, der Benutzer 'Anna-Maria' hat heute seinen Account ohne Angabe von Gründen gelöscht. Bitte habe Verständnis dafür, dass wir Dir aus Datenschutzgründen keine weiteren Auskünfte geben können.‹
Oliver starrt in den Fernseher und öffnet eine zweite Flasche Wein. Er diagnostiziert bei sich eine schwere Störung seines Traum-Wunsch-Kontinuums und schläft mit zurückgelegtem Kopf laut schnarchend ein.
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Der erste Eindruck dieses Tages ist schmerzhafte Helligkeit, die ihn weckt. Der Zweite ist das presslufthammerartige Dröhnen in seinem Kopf, als er versucht, die Augen zu öffnen. Sein Hals fühlt sich an wie mit brennenden Streichhölzern ausgekleidet; viel zu schwach, um den riesenhaften Kopf zu tragen.
Gut, dass ich Urlaub habe , denkt Oliver, schleppt sich ins Bad, übergießt sein Gesicht ausgiebig mit kaltem Wasser und schluckt drei Aspirin. Anschließend legt er sich ins Bett und schläft, bis ihn Hunger und Durst am späten Nachmittag wecken.
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Drei Spiegeleier mit Schinken und ein Tetrapack Orangensaft sorgen dafür, dass er sich besser fühlt. Er fängt an, die Lage zu durchdenken. Anna-Maria – falls sie so heißt – hat ihn aufs Übelste verarscht.
»Wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Weiber so weit zu bringen, sich mir mit Leib und Seele hinzugeben …«, brummelt er gedankenverloren vor sich hin. »… so wie Hypnose«, spinnt er den Faden weiter, »sodass sie nicht mehr in der Lage sind, Nein zu sagen, wenn ich befehle.«
Er beschließt, bei einem Glas Orangensaft darüber nachzudenken. Dieser Gedanke will ihn nicht mehr loslassen.
*
Oliver hat es sich mit einer Packung Erdnussflips, einer Kanne Kaffee und einem Big-Pack Marlboro vor dem Rechner gemütlich gemacht. Gelangweilt surft er durch verschiedene Homepages. Ein Werbefenster springt auf. Reflexartig klickt er auf das ›X‹ oben rechts, ohne den Inhalt des Fensters wahrzunehmen. Trotzdem hat er registriert, dass es sich um eine Werbung für eine Versicherung gehandelt hat.
Erstaunlich, was Auge und Gehirn zu leisten in der Lage sind , denkt er.
Während er diesem Gedanken nachhängt, erinnert er sich an
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