Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Fäusten wund geprügelt, seine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug. Gleich würden sie ihn in einen Raum setzen, der nach Stiefelfett und altem Linoleum stank. Hinter einer armeegrauen Tür auf einen Stuhl, an dem er mit dem Schweiß klebte, der ihm aus dem Hintern lief.
Er zuckte zusammen, als Pieplow nach seinem Arm griff.
»Ich kann nicht«, sagte er und wollte sich umdrehen. Raus. Weg. Irgendwohin, nur nicht tiefer in dieses Gebäude.
»Reißen Sie sich zusammen, Thiel«, sagte Willeke barsch. »Und zwar in jeder Hinsicht. Haben wir uns verstanden?«
»Machen Sie mir wenigstens diese Scheißdinger ab.« Thiel hob die Arme. Was für eine schwachsinnige Idee, sich Handschellen anlegen zu lassen.
»Nein«, sagte Pieplow. »Die bleiben dran.« Es war besser so.
Pieplow kannte den Weg und das Büro. Für das, was jetzt kam, ein besserer Ort als ein trister Verhörraum. Genug für die sieben Personen, deren Anwesenheit später im Protokoll vermerkt würde: Als Herrin des Verfahrens die Staatsanwältin.
Als Pieplow ihr das letzte Mal begegnet war, hatte sie ältlich und graumäusig gewirkt. Jetzt waren ihre Haare heller, länger und lockiger. Statt des flohbraunen Kostüms, an das er sich erinnerte, trug sie einen blauen Hosenanzug, der ihr eindeutig besser stand. Und keinen Doppelnamen mehr. Nur noch Sander, kein Einberg mehr. Irgendwann in den vergangenen zwei Jahren musste sie ihn abgelegt haben. Der Handschlag, mit dem sie Willeke und Pieplow begrüßte, war kühl und fest.
Neben Ehmke standen zwei Beamte, die sich als Oberkommissarin Hertz und Hauptkommissar Brandes vorstellten. Ermittler der Mordbereitschaft und seit elf Stunden mit dem Fall Rohrbach befasst.
Alles war so, wie Willeke es verlangt hatte.
»Ich hoffe für Sie, dass dieser Aufwand sich lohnt.« Das Lächeln der Staatsanwältin fiel ausgesprochen knapp aus. »Wenn nicht, betrachte ich das als Behinderung der Ermittlungsarbeit.«
»Seien Sie versichert, dass es sich lohnt, Frau Sander. Ganz besonders im Hinblick auf den Fortgang der Ermittlungen.« Willeke blieb stehen, während alle anderen sich hinsetzten. Staatsanwaltschaft und Polizei an den Besprechungstisch, der vorläufig Festgenommene etwas abseits auf einen Stuhl, den Willeke aus dem Nebenraum hatte holen lassen.
Wie im Theater, dachte Pieplow. Wobei noch nicht klar war, wer welche Rolle spielte. Fest stand nur, dass
in dieser Inszenierung Willeke die Regie übernommen hatte.
Beim Gedanken an das, was in der nächsten Stunde geschehen würde, verkrampfte sich Pieplows Nacken. Er hätte gern zwei Aspirin genommen, bevor es losging.
Thiel saß reglos auf seinem Stuhl. Stumm und so verbissen, dass seine Kiefer schmerzten. Er sah niemanden an, hielt den Kopf gesenkt oder starrte aus dem Fenster, vor dem es nichts gab als Dunkelheit und das schwach beleuchtete Landgericht.
»Nun denn, meine Damen und Herren.« Willeke nahm die Hände aus den Hosentaschen und rieb sie, als seien sie kalt. »Zunächst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie zu dieser späten Stunde und in Anbetracht Ihrer Arbeit in der so heißen Phase der Ermittlungen dieses Treffen ermöglicht haben. Sie werden sich fragen, warum ich mit solcher Dringlichkeit darum gebeten habe.«
Allerdings, sagten die Blicke der Ermittler.
Die Staatsanwältin rückte ein wenig vom Tisch ab und schlug die Beine übereinander.
Willeke wippte ein paar Mal von den Fersen auf die Zehenspitzen, dann ging er zwischen Ehmkes Schreibtisch und Fenster auf und ab.
»Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen«, sagte er. »Danach werden Sie die Antwort auf diese und eine ganze Reihe anderer Fragen kennen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der an sich selbst gescheitert
ist. Der sich mehr Scham und Schuld aufgebürdet hat, als er tragen konnte. Viel mehr. Er ist daran zu Grunde gegangen.
Langsam, Stück für Stück. Jeden Tag ein bisschen mehr. Jeden Tag wird die Mauer brüchiger, hinter der er verbirgt, wovon niemand je erfahren sollte. Trotzdem, so hofft er, werde diese Mauer sein Leben lang halten. Aber sie hält nicht. Sie fängt zu bröckeln an, als Heiner Thiel wieder auf der Bildfläche erscheint. Als nach fünfzehn Jahren die alten Fragen wieder neu gestellt werden, weiß er, dass er nicht mehr kann. Dass die Last der Schuld zu schwer, die Qual der Scham zu groß ist, als dass er damit noch leben konnte.«
»Stehlen Sie uns mit Ihrem Pastorengewäsch nicht die Zeit, Herr Willeke! Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns das
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