Brandnacht (German Edition)
ihn ratlos an.
»He, Mann, seit der Wiedervereinigung hat Deutschland etwa meine Statur. Nicht mehr halbstark, sondern echt stark, kapiert? Wir Nazis können es uns leisten, Pazifisten zu sein.«
Ein Irrer, dachte ich, schon wieder ein Irrer.
»Wir machen ein bisschen diesen hier in Brüssel.« Er bewegte die Ellbogen nach rechts und links. »Und jagen die anderen ins Bockshorn, indem wir Stalingrad-Filme produzieren. Zeigen ihnen, was ein echtes Stahlgewitter ist, und wenn sie das nicht mehr haben wollen, müssen sie in Brüssel kuschen, kapiert? Wenns dann so weit ist, dass alle klein beigeben, kommen wir mit unserer neuen Partei und verlegen die Eurozentrale von Brüssel nach Berlin, fertig ist das neue Großdeutschland. Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt? Das war doch ein Scherz. Ich will alles, ich will alles und noch viel mehr!«
Ich war verblüfft. »Aber Stalingrad war doch ein Desaster für euch.«
Er lehnte sich nach vorn und zwinkerte fröhlich mit den Augen. »Klar war das ein Desaster, aber wenn die noch ein paar von diesen Filmen drehen, dann wirds ein Heldenepos. Und Helden müssen verlieren, um gewinnen zu können. Die Hollywood-Masche, min Jung!«
Ich deutete mit der Bierflasche auf das verhängte Stativ. »Von wegen Pazifismus, ist da eine Panzerfaust drunter? Haben Sie den Laden drüben in Brand gesteckt?«
»Den Bücherschuppen von Heiner, der alten Ratte? Ich? Nur weil er es nicht gebacken kriegt, ein paar Zeitschriften für mich zu bestellen? Ach was!« Dann lachte er. »Panzerfaust?« Er stand auf, ging zum Stativ und zog das Tuch weg. Ein komisches Gerät, das aussah wie ein vorsintflutlicher Hightech-Haarföhn, kam zum Vorschein. »Na? Sieht das etwa aus wie eine Panzerfaust?«
Ich stand auf und sah mir das Ding aus der Nähe an. »Nein. Was ist das?«
Hattler zog den Tarnvorhang auf. Draußen war es dunkel, aber man hatte einen guten Blick auf die komplizierte Straßenkreuzung an der Schäferkampsallee.
»Vor allem montags und freitags kannst du ein Dauerblitzlicht einrichten.«
»Verkehrsüberwachung?« Ich staunte.
»Na klar, Mann. Ist doch jetzt privatisiert. Da kommt ein hübscher kleiner Nebenverdienst zusammen. Solltest du auch mal in Erwägung ziehen, Detektiv. So kannst du mal eben locker für Recht und Ordnung sorgen und dir für 'nen guten Zweck Geld abgreifen.«
Ich weiß auch nicht, warum, aber plötzlich war ich sehr niedergeschlagen. Kein Gewehr, keine Panzerfaust, nur ein pazifistischer Nazi, der seiner Leidenschaft für Verkehrsüberwachung nachging.
Ich lehnte ein zweites Bier ab und verabschiedete mich.
Am nächsten Morgen gabs kein Veganerfrühstück bei Carol und Sandra. Schon um sieben Uhr stand ich vor einem Schaufenster neben der holzvertäfelten Frühstücksstube. Der Frühstückstyp verspätete sich, und ich hatte Zeit, mir die Auslagen eines neuen Ladens mit dem schönen Namen »Fun Fun Fun« anzusehen. Scherzartikel. Es gab alles von Luftschlangen und Girlanden über Tischfeuerwerk und explodierende Zigarren bis hin zu Masken und Kostümen.
In einer Ecke des Schaufensters, verdeckt durch Girlanden und sonstigen Schwachsinn, grinste Freddy Krueger vor sich hin. Sie hatten sein ganzes Outfit da: die zerschlissene Hose, den Ringelpullover, das verbrannte Gesicht, den Schlapphut und zwei Handschuhe mit Rasiermesserklingen dran. Hing alles ganz harmlos an ein paar Nägeln. Bereit für die nächste Faschingsparty. Besonders scharf sahen die Messerklingen nicht aus, wahrscheinlich waren sie aus Plastik.
Neben mir quietschte eine Tür, der Typ vom Frühstücksladen öffnete mit zwanzig Minuten Verspätung. Ich trat gleich nach ihm ein und sagte laut »Guten Morgen!«.
Er sah nicht gut aus. Blass, dünn, schlaksig, schlechte Körperhaltung, Ostblockjeans und Aldi-Sweatshirt. Ein Morgenmuffelgesicht nickte mir schwach zu. Der Laden sah aus, als hätten sie bei IKEA im Keller archäologische Ausgrabungen gemacht.
»Gibts schon was?«, fragte ich forsch.
»Gleich, gleich.« Er lief hinter den Bretterverschlagstresen und drückte auf die Einschaltknöpfe von zwei Kaffeemaschinen. Die Filter hatte er wohl gestern Abend schon gefüllt.
Die Maschinen begannen zu blubbern. Der dünne Kerl band sich eine klein karierte Schürze um.
»Was darfs sein?«, fragte er missmutig.
»Eier mit Speck?«
Er wiegte den Kopf hin und her und sagte zögerlich: »Ja …«
Er drehte den Gasherd an und nahm eine Pfanne vom Haken. Eier und
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