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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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weg, und die
Hand, in der ich die braune Tüte mit den Räucherfischen und
dem Brot hielt, hätte ich nicht vor Augen sehen können.
    Ich wickelte mir den Schal fester um den Hals und betete, meine
Augen sollten sich an die Finsternis gewöhnen, doch nirgendwo
gab es einen Lichtschimmer, an dem ich mich hätte orientieren
können. Jetzt wünschte ich mir den Mond herbei, den alle
von der Brandwache verfluchen und von dem wir sagen, er sei ein
Mitglied der Fünften Kolonne. Oder einen Bus mit abgeblendeten
Scheinwerfern. Oder den Strahl eines Suchscheinwerfers. Oder das
grelle Aufblitzen einer Flakkanone. Egal was.
    Dann sah ich tatsächlich einen Bus, zwei weitentfernte
schmale gelbe Schlitze. Ich steuerte darauf zu und wäre um ein
Haar von der Bordsteinkante gestolpert. Das bedeutete, daß der
Bus mir schräg gegenüber auf der Straße stand, was
wiederum bedeutete, daß es gar kein Bus sein konnte. Ganz in
meiner Nähe miaute eine Katze und schmiegte sich an mein Bein.
Ich blickte nach unten in die gelben Lichter, die ich für
abgeblendete Scheinwerfer gehalten hatte. In den Augen des Katers
sammelte sich irgendwelches Licht, obwohl ich geschworen hätte,
im Umkreis von Meilen gäbe es keines, und das reflektierte zu
mir herauf.
    »Dich erwischt noch ein Schutzmann, weil du nicht verdunkelt
hast, alter Bursche«, sagte ich. In diesem Moment dröhnte
ein Flugzeug über uns hinweg. »Oder ein Jerry.«
    Mit einem Schlag war die Welt taghell erleuchtet. Fast
gleichzeitig schien das Themseufer zu glühen, und
Suchscheinwerfer blitzten auf. Ich trat den gutbeleuchteten Heimweg
an.
    »Kamst du mich abholen, alter Bursche?« fragte ich
fröhlich. »Wo hast du denn so lange gesteckt? Du
wußtest wohl, daß uns die Heringe ausgegangen waren, wie?
Das nenne ich Treue.«
    Ich sprach den ganzen Weg über mit ihm, und dann gab ich ihm
eine halbe Büchse Heringe, weil er mir das Leben gerettet hatte.
Bence-Jones meinte, er hätte gerochen, daß es in dem
Lebensmittelgeschäft Milch gab.

13. November
    Mir träumte, ich hätte mich in der Verdunkelung
verlaufen. Ich konnte die Hand nicht vor Augen sehen, und dann kam
Dunworthy und leuchtete mir mit einer Taschenlampe. Aber ich sah nur
den Weg, den ich gekommen war, und nicht den, den ich gehen
wollte.
    »Was nützt ihnen dann die Lampe?« fragte ich.
»Sie brauchen ein Licht, das ihnen zeigt, wohin sie
gehen.«
    »Auch wenn es der Widerschein von der Themse ist? Oder das
Flackern der Brände und das Geschützfeuer?«
    »Ja. Alles ist besser als diese schreckliche
Finsternis.« Er kam zu mir und gab mir die Taschenlampe. Es war
aber keine, sondern es war die Laterne, die Jesus auf dem
Gemälde von Hunt im südlichen Mittelschiff hochhält.
Ich richtete den Strahl vor mich auf den Bürgersteig, damit ich
den Heimweg fand, doch statt dessen beleuchtete er den Stein der
Brandwache. Hastig machte ich das Licht wieder aus.

20. November
    Heute unternahm ich einen Anlauf, um mit Langby zu sprechen.
»Ich sah, wie du dich mit dem alten Mann unterhieltest«,
sagte ich. Es klang wie ein Vorwurf. So sollte es auch sein. Er
mußte merken, daß ich auf ihn aufpaßte, vielleicht
gab er seine Pläne dann auf.
    »Ich las ihm etwas vor«, gab er zurück. »Ich
unterhielt mich nicht mit ihm.« Er schaffte Ordnung auf der
Empore, stapelte Sandsäcke aufeinander.
    »Dann sah ich eben, wie du ihm vorgelesen hast«, sagte
ich streitlustig. Er ließ einen Sack fallen und richtete sich
auf.
    »Na und?« fragte er. »Wir leben in einem freien
Land. Wer will mich daran hindern, daß ich einem alten Mann
etwas vorlese? Dir sagt ja auch keiner was, wenn du dich mit dieser
FFD-Schnepfe unterhältst.«
    »Was hast du ihm denn vorgelesen?« fragte ich.
    »Alles mögliche. Er ist ein alter Mann. Wenn er
früher von der Arbeit kam, trank er einen Schluck Brandy und
ließ sich von seiner Frau aus der Zeitung vorlesen. Sie kam bei
einem Luftangriff ums Leben. Jetzt lese ich ihm vor. Ich weiß
gar nicht, was dich das überhaupt angeht.«
    Es klang ehrlich. Es hatte nicht den beiläufigen Unterton
einer Lüge. Ich hätte ihm geglaubt, wenn ich nicht schon
einmal gehört hätte, wie seine Stimme klang, wenn er die
Wahrheit sagte. Damals in der Krypta. Nach dem Treffer.
    »Ich dachte, er sei ein Tourist, der das Windmill-Theater
sucht.«
    Höchstens eine Sekunde lang machte er ein verdutztes Gesicht,
dann antwortete er: »Ach so, ja. Er kam mit der Zeitung zu mir
und fragte mich, wo das läge. Ich mußte nachschauen

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