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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Kommunist. Ich kann das kaum
niederschreiben. Ein Kommunist.
    Eine Putzfrau fand den Arbeiter, eingeklemmt hinter einer
Säule, und brachte die Zeitung in die Krypta mit, gerade als wir
von der ersten Wache kamen.
    »Verdammte Kommunisten!« fluchte Bence-Jones. »Die
unterstützen doch Hitler. Schimpfen auf den König und
stiften Unruhe in den Schutzkellern. Verräter sind das, weiter
nichts.«
    »Die sind genauso für England wie du«, meinte die
Putzfrau.
    »Die sind für niemand, die lieben nur sich selbst, ein
ganz egoistisches Pack ist das. Ich würde mich nicht wundern,
wenn mir jemand erzählte, daß die mit Hitler
telefonieren«, entgegnete Bence-Jones. »Hallo, Adolf, da
und da mußt du die Bomber hinschicken.«
    Der Kessel auf dem Gaskocher pfiff. Die Putzfrau stand auf,
goß das heiße Wasser in eine angeschlagene Teekanne und
setzte sich dann wieder hin. »Nur weil die ihre Meinung sagen,
heißt das noch lange nicht, daß sie unseren guten alten
St. Paul abbrennen wollen.«
    »Natürlich nicht«, sagte Langby, der die Treppe
herunterkam. Er setzte sich, zog sich die Stiefel aus und bewegte die
Zehen, die in Wollsocken steckten. »Wer will St. Paul nicht
abbrennen?«
    »Die Kommunisten«, antwortete Bence-Jones und sah ihm
dabei ins Gesicht. Ich fragte mich, ob er Langby auch
verdächtigte.
    Langby verzog keine Miene. »Wegen der Kommunisten brauchst du
dir keine Sorgen zu machen. Die Jerrys legen sich mächtig ins
Zeug, um St. Paul heute nacht abzubrennen. Sechs Brandbomben bis
jetzt, und eine wäre beinahe in das Loch über der Empore
gefallen.« Er hielt der Putzfrau seine Tasse hin, und sie
schenkte ihm Tee ein.
    Am liebsten hätte ich ihn umgebracht, ihn auf dem Boden der
Krypta in Stücke zerschmettert, als Bence-Jones und die Putzfrau
ihn hilflos und verdutzt angafften. Es gärte in mir, ihnen und
den anderen von der Wache Warnungen zuzubrüllen.
»Wißt ihr denn nicht, was die Kommunisten taten?«
wollte ich schreien. »Habt ihr denn keine Ahnung? Wir
müssen ihn unschädlich machen.« Ich stand sogar auf
und ging einen Schritt auf ihn zu. Er saß da, die Beine
ausgestreckt, den Asbestmantel noch über den Schultern.
    Dann sah ich die in Gold getauchte Galerie und den Kommunisten,
wie er, das Paket lässig unter dem Arm, die U-Bahn-Station
verläßt. Das Gefühl der Schuld und Hilflosigkeit
löste in mir wieder diesen schrecklichen Schwindelanfall aus,
und ich mußte mich auf mein Feldbett setzen. Ich
überlegte, was ich tun sollte.
    Sie erkennen nicht die Gefahr. Selbst Bence-Jones mit seinem
Gerede über Verräter traut den Kommunisten höchstens
zu, daß sie gegen den König hetzen. Sie wissen nicht,
woher sollten sie auch, was aus den Kommunisten einmal wird. Stalin
ist ein Verbündeter. Kommunisten bedeuten Rußland. Von
Karinsky oder dem Neuen Rußland oder den anderen Sachen, die
später aus ›Kommunisten‹ ein Synonym für
›Ungeheuer‹ machen, haben sie nie etwas gehört. Sie
werden es niemals erfahren. Wenn die Kommunisten sich zu dem
entwickelt haben, was sie wurden, gibt es keine Brandwache mehr. Ich
bin der einzige, der weiß, was es bedeutet, wenn hier in St.
Paul so beiläufig über ›Kommunisten‹ gesprochen
wird.
    Ein Kommunist. Darauf hätte ich gleich kommen
müssen.

22. Dezember
    Schon wieder doppelte Wache. Ich habe keinen Schlaf mitbekommen
und merke, wie ich immer wackliger auf den Beinen werde. Heute morgen
wäre ich um ein Haar in das Loch gestürzt, ich konnte mich
nur retten, indem ich mich auf die Knie fallen ließ. Mein
Endorphinpegel schwankt heftig, und wenn ich nicht bald zum Schlafen
komme, werde ich eine von Langbys wandelnden Leichen. Aber ich traue
mich nicht, ihn unbeobachtet zu lassen, ob auf den Dächern, in
der Kirche mit seinem kommunistischen Parteiführer oder sonstwo.
Mittlerweile beobachte ich ihn sogar, wenn er schläft.
    Wenn ich nur von irgendwoher ein Stimulans bekäme,
könnte ich wahrscheinlich selbst in meiner augenblicklich
jämmerlichen Verfassung eine Trance herbeiführen. Doch ich
kann nicht mal in eine Kneipe gehen. Langby hält sich
ständig auf den Dächern auf und wartet auf seine Chance.
Wenn Enola wiederkommt, muß ich sie drängen, daß sie
mir den Brandy besorgt. Mir bleiben ja nur noch wenige Tage.

28. Dezember
    Heute morgen kam Enola. Ich befand mich gerade im Westportal und
hob den Weihnachtsbaum auf. Schon das dritte Mal hat ihn nachts eine
Druckwelle umgeworfen. Ich rückte den Baum gerade und
bückte mich nach dem

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