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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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und
die Adresse heraussuchen. Schlau gemacht. Ich kam nicht auf die Idee,
daß er selbst nicht lesen kann.« Das genügte mir. Ich
wußte, daß er log.
    Er wuchtete mir einen Sandsack beinahe auf die Füße.
»Aber so etwas verstehst du nicht, oder? Einen simplen Akt von
Freundlichkeit.«
    »Nein«, entgegnete ich kühl, »das verstehe ich
wirklich nicht.«
    Bewiesen ist damit aber noch gar nichts. Er verriet nichts,
außer vielleicht den Namen eines Stimulans, aber ich kann wohl
kaum zum Dekan gehen und Langby anzeigen, weil er jemandem vorgelesen
hat.
    Ich wartete, bis er auf der Empore fertig war und wieder nach
unten in die Krypta ging. Dann schleppte ich einen Sandsack auf das
Dach und herüber zu dem Loch. Bis jetzt haben die Bretter
gehalten, aber jeder schlägt einen großen Bogen darum, als
befände sich darunter ein Grab. Ich schlitzte den Sack auf und
schüttete den Sand in die Öffnung. Falls Langby auf die
Idee kommt, daß das die ideale Stelle für eine Brandbombe
ist, dann wird sie vielleicht durch den Sand erstickt.

21. November
    Heute gab ich Enola etwas von ›Onkels‹ Geld und bat sie,
mir den Brandy zu besorgen. Sie zierte sich länger, als ich
dachte, offenbar gibt es soziale Komplikationen, die ich nicht kenne,
aber dann willigte sie ein.
    Warum sie hierherkam, weiß ich nicht. Sie fing an, mir von
ihrem Bruder zu erzählen, der im U-Bahn-Tunnel irgendeinen Unfug
angestellt und Scherereien mit der Aufsicht bekommen hatte. Aber nach
meiner Frage wegen des Brandys verzog sie sich, ohne mir die
Geschichte ganz zu erzählen.

25. November
    Heute kam Enola, aber ohne den Brandy. Sie fährt nach Bath,
um ihre Tante zu besuchen. Dort ist sie wenigstens vor den
Fliegerangriffen sicher. Um sie brauche ich mir keine Sorgen zu
machen. Sie erzählte mir die Geschichte von ihrem Bruder zu Ende
und sagte, sie hoffte, ihre Tante würde Tom für die Dauer
des Blitzkriegs bei sich behalten. Sie zweifelte jedoch daran.
    Tom scheint mir nicht so sehr ein liebenswerter Lausebengel,
sondern eher ein jugendlicher Krimineller zu sein. Zweimal hat man
ihn in der Bank der U-Bahn-Station beim Taschendiebstahl erwischt,
und sie mußten nach Marble Arch zurück. Ich tröstete
sie, so gut ich konnte, und sagte, jeder Junge käme mal ins
Rüpelalter. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, um Tom
brauche ihr nicht bange zu sein, für mich sei er einer von
denen, die überall durchkommen, so wie mein Kater oder wie
Langby. Die kennen keinen anderen außer sich selbst, sie
besitzen die besten Voraussetzungen, um den Blitzkrieg zu
überleben und in der Zukunft für sich zu sorgen.
    Dann fragte ich sie, ob sie Brandy gekauft hatte.
    Sie schaute auf ihre Sandalen hinunter und murmelte
unglücklich: »Ich dachte, den hättest du schon
vergessen.«
    Ich erfand eine Geschichte und log ihr vor, die Wachen würden
abwechselnd eine Flasche spendieren, und ihre Miene hellte sich ein
bißchen auf, aber ich habe den Verdacht, daß sie die
Reise nach Bath zum Vorwand nehmen wird, um mir den Brandy nicht zu
besorgen. Also muß ich selbst losziehen und mir eine Flasche
kaufen, nur traue ich mich nicht, Langby allein in der Kirche zu
lassen. Ich nahm ihr das Versprechen ab, mir heute vor ihrer Abreise
den Brandy zu bringen. Bis jetzt war sie noch nicht da, und die
Sirenen haben schon Fliegeralarm gemeldet.

26. November
    Keine Enola, und mir hatte sie gesagt, ihr Zug ginge mittags um
zwölf. Eigentlich sollte ich froh sein, daß sie aus London
fort und in Sicherheit ist. Vielleicht kuriert sie in Bath endlich
ihre Erkältung aus.
    Heute abend kam eines von den ZVD-Mädels hereingefegt und
lieh sich die Hälfte der Feldbetten aus. Sie erzählte uns,
im East End hätte ein Straßenschutzraum einen Volltreffer
abgekriegt. Vier Tote, zwölf Verwundete. »Gott sei Dank,
war’s keine von den U-Bahn-Stationen«, meinte sie.
»Das wäre ja eine echte Katastrophe, nicht?«

30. November
    Ich träumte, ich hätte den Kater nach St. John’s
Wood mitgenommen.
    »Soll das eine Rettungsmission sein?« fragte
Dunworthy.
    »Nein, Sir«, antwortete ich stolz. »Ich weiß
jetzt, was ich während meines Praktikums entdecken sollte. Ein
Wesen, das die idealen Eigenschaften zum Überleben besitzt.
Zähigkeit, Findigkeit und Egoismus. Das hier ist das einzige,
das ich finden konnte. Langby mußte ich nämlich
töten, damit er St. Paul nicht in Brand steckte. Enolas Bruder
fuhr nach Bath, und die anderen schafften es ohnehin nicht. Enola
trägt im Winter offene

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