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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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noch nicht, daß seine Hand blutete. An seine Worte
würde er sich später nicht mehr erinnern. Ich hätte
dich nicht retten sollen, hatte er gesagt.
    »Ich hätte dich nicht retten sollen«, wiederholte
er. »Ich muß an meine Pflicht denken.«
    »Du blutest!« versetzte ich scharf. »Leg dich
lieber einen Moment hin.« Ich sprach jetzt genauso wie Langby
damals in der Galerie.

13. Oktober
    Es war eine hochexplosive Sprengbombe. Sie riß ein Loch in
das Dach der Empore; einige Marmorstatuen wurden zertrümmert;
die Decke der Krypta brach jedoch nicht ein, wie ich befürchtet
hatte. Nur etwas Verputz kam herunter.
    Ich glaube nicht, daß Langby weiß, was er sagte.
Für mich ist das ein Vorteil, jetzt weiß ich wenigstens,
aus welcher Richtung die Gefahr droht, und kann mich darauf
einstellen. Aber was nützt mir das alles, solange ich keine
Ahnung habe, was er im Schilde führt und wann er
losschlägt?
    Mit Sicherheit sitzt die Information über die Bombe von
gestern irgendwo in meinem Langzeitgedächtnis, doch dieses Mal
hat selbst der herunterbröckelnde Verputz keine Erinnerung
ausgelöst. Im Augenblick bemühe ich mich nicht mal zu
memorieren. Ich liege in der Dunkelheit und warte darauf, daß
die Decke auf mich herunterkommt. Und ich denke darüber nach,
wie Langby mir das Leben rettete.

15. Oktober
    Heute war das Mädchen wieder da. Sie war immer noch
erkältet, aber eine bezahlte Arbeit hatte sie gefunden. Eine
richtige Augenweide. Sie trug eine schicke Uniform, offene Sandalen,
und das krause Haar rahmte kunstvoll ihr Gesicht ein. Wir sind immer
noch dabei, den Schutt fortzuräumen, den die Bombe losgerissen
hat. Langby war mit Allen unterwegs, um Bretter zu besorgen, mit
denen sie die Empore ausbessern wollen, deshalb ließ ich das
Mädchen auf mich einschnattern, während ich fegte. Der
Staub brachte sie zum Niesen, aber dieses Mal wußte ich
wenigstens, was sie tat.
    Sie erzählte mir, daß sie Enola heißt und jetzt
beim FFD arbeitete. Sie betreibt eine der rollenden Kantinen, die zu
den Brandstellen geschickt werden. In erster Linie kam sie zu mir, um
sich für den Job zu bedanken. Sie sagte mir, nachdem sie dem FFD
erzählt hatte, für eine Kantine gäbe es in St. Paul
keinen sicheren Schutz, hätte man sie für die City
eingeteilt. »Wenn ich Feierabend habe, komme ich mal rasch
vorbei und erzähle dir, wie es läuft, ja?«
    Sie und ihr Bruder schlafen immer noch in der U-Bahn-Station. Ich
fragte sie, ob man dort sicher sei. Sie meinte, nein, aber da unten
höre man wenigstens nicht die Bombe, die einen erwische, und das
sei ein Segen.

18. Oktober
    Ich bin so müde, daß ich kaum schreiben kann. Neun
Brandbomben heute nacht und eine Fallschirmmine, die um ein Haar auf
der Kuppel gelandet wäre, hätte der Wind sie nicht im
letzten Moment von der Kirche weggetrieben. Zwei der Brandbomben
löschte ich. Seit ich hier bin, habe ich das mindestens
zwanzigmal getan und bei Dutzenden anderen geholfen, doch das
genügt alles nicht. Eine Brandbombe – ich muß Langby
nur mal zufällig aus den Augen verlieren –, und die ganze
Mühe war vergebens.
    Ich weiß, daß ich mich zum Teil deshalb so ausgelaugt
fühle. Jede Nacht gehe ich bis an die Grenze meiner Kräfte,
wenn ich versuche, meine Aufgabe zu erledigen; ich beobachte Langby
und passe gleichzeitig auf, wo eine Brandbombe hinfällt. Dann
gehe ich in die Krypta zurück und konzentriere mich darauf,
etwas in mein Kurzzeitgedächtnis abzurufen – alles, was mit
Spionen zusammenhängt, Feuersbrünste, St. Paul im Herbst
1940. Mich quält die Vorstellung, nicht genug zu tun, aber was
soll ich sonst noch machen? Ich fühle mich genauso ausgeliefert
wie die armen Leute hier, die keine Ahnung haben, was morgen
passiert.
    Wenn es sein muß, mache ich so weiter wie jetzt, bis ich
zurückgeholt werde. Solange ich hier bin und die Brandbomben
lösche, kann er St. Paul nicht in Flammen aufgehen lassen.
›Ich muß an meine Pflicht denken‹, hatte Langby in
der Krypta gesagt.
    Und ich denke an meine Pflicht.

21. Oktober
    Die Explosion war vor zwei Wochen, und mir fällt gerade ein,
daß wir den Kater seitdem nicht mehr gesehen haben. In dem
Schutt der Krypta war er nicht. Obwohl Langby und ich sicher waren,
daß sich in den Trümmern nichts befand, suchten wir den
Haufen noch zweimal gründlich durch. Aber der Kater hätte
auch auf der Empore sein können.
    Der alte Bence-Jones meint, wir sollten uns keine Sorgen machen.
»Dem ist nichts passiert«, sagte er.

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