Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
Langzeitgedächtnis gelange. Ich habe nicht einmal die
Hälfte der Informationen gespeichert, die ich brauche: Katzen
und Schnupfen und wie St. Paul bei Sonnenschein aussieht. Es ist nur
eine Frage der Zeit, bis ich einen Patzer mache, weil ich etwas nicht
kenne. Trotzdem werde ich heute nacht, wenn ich von der Wache komme,
versuchen, Erinnerungen abzuberufen. Zumindest kann ich herausfinden,
ob und wann mir etwas auf den Kopf fällt.
    Ein paarmal habe ich die Katze schon gesehen. Es ist ein
kohlrabenschwarzer Kater mit einem weißen Fleck am Hals. Er
sieht aus, als hätte man ihn wegen der Verdunkelung schwarz
angestrichen.

27. September
    Ich komme gerade von den Dächern herunter. Ich zittere immer
noch.
    Zu Anfang des Luftangriffs wurde nur das East End bombardiert. Der
Anblick war unbeschreiblich. Überall Suchscheinwerfer, der
Himmel rot vom Widerschein der Flammen, der sich noch einmal in der
Themse spiegelte. Die explodierenden Bomben sprühten Blitze wie
bei einem Feuerwerk. Man hörte ständig ein
ohrenbetäubendes Donnern, das gelegentlich vom Brummen
hochfliegender Maschinen untermalt wurde. Dann die knatternden Salven
der Flakgeschütze.
    Gegen Mitternacht schlugen die Bomben ganz in unserer Nähe
ein. Es hörte sich grauenhaft an, so als rollte ein Zug
über mich hinweg. Ich mußte meine gesamte Willenskraft
aufbieten, um mich nicht flach aufs Dach zu werfen, aber Langby
ließ mich nicht aus den Augen. Ich gönnte ihm nicht die
Genugtuung, mich noch einmal zusammenklappen zu sehen wie damals in
der Kuppel. Ich hielt den Kopf hoch, den Eimer mit Sand fest in der
Hand, und war sehr stolz auf mich.
    Gegen drei hörte das Bombardement auf, und ungefähr eine
halbe Stunde lang hatten wir Ruhe. Plötzlich prasselte es auf
den Dächern wie Hagel. Jeder außer Langby schnappte sich
eine Schaufel und Handpumpe. Er beobachtete mich. Und ich beobachtete
die Brandbombe.
    Sie lag wenige Meter von mir entfernt auf dem Dach, hinter dem
Turm mit der Uhr. Sie war viel kleiner, als ich sie mir vorgestellt
hatte, ungefähr dreißig Zentimeter lang. In hohem Bogen
spritzte aus ihr ein grünlich-weißes Feuer heraus, das
dicht vor meinen Füßen landete. In einer Minute würde
sie zu einer geschmolzenen Masse zusammengekocht sein und sich
langsam durch das Dach brennen. Flammen, die rauhen Schreie der
Feuerwehrleute, dann dehnte sich die weiße Steinfläche
meilenweit vor mir aus. Nichts war mehr da, nicht mal der Stein der
Brandwache.
    Es war wieder genau das gleiche wie in der Flüstergalerie.
Ich merkte, daß ich etwas gesprochen hatte, und als ich Langby
ins Gesicht sah, grinste er schief.
    »St. Paul wird niederbrennen«, sagte ich. »Nichts
wird übrigbleiben.«
    »Ja«, meinte Langby. »Dazu soll es kommen, nicht?
St. Paul soll abbrennen. Ist das sein Plan?«
    »Wessen Plan?« fragte ich naiv.
    »Hitlers Plan natürlich«, gab Langby zurück.
»Was dachtest du denn, wen ich meine?« Beinahe lässig
griff er nach seiner Handpumpe.
    Plötzlich tauchte die Seite des ZVD-Handbuchs vor mir auf.
Ich nahm den Eimer und schüttete den Sand rings um die immer
noch spritzende Bombe, dann schnappte ich mir einen zweiten Eimer und
kippte den Inhalt obendrauf. Schwarzer Rauch quoll hoch und bildete
eine solche Wolke, daß ich kaum meine Schaufel fand. Mit der
Spitze tastete ich nach der unterm Sand begrabenen Bombe, warf sie in
den leeren Eimer und schaufelte den Sand darüber. Der Qualm
biß mir so in die Augen, daß mir die Tränen
übers Gesicht strömten. Als ich mich abwandte, um sie mit
dem Ärmel abzuwischen, sah ich Langby.
    Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er lächelte.
»Der Plan ist wirklich nicht schlecht. Aber wir lassen
natürlich nicht zu, daß das passiert. Deshalb haben wir ja
die Brandwache. Die paßt auf, daß es nicht soweit kommt.
Stimmt’s, Bartholomew?«
    Ich weiß nicht, was das Ziel meines Praktikums ist. Ich
muß Langby daran hindern, daß er St. Paul
niederbrennt.

28. September
    Ich versuche mir einzureden, daß ich mich gestern nacht in
Langby getäuscht habe, daß ich mißverstand, was er
sagte. Warum sollte er wollen, daß St. Paul abbrennt, es sei
denn, er ist ein Nazispitzel? Wie kommt ein Nazispitzel zur
Brandwache? Mir fällt mein gefälschter Empfehlungsbrief
ein, und ein Schauer läuft mir über den Rücken.
    Wie kann ich es herausfinden? Wenn ich ihm eine Falle stelle, ihn
mit einer Fangfrage prüfe, die nur ein loyaler Engländer
aus dem Jahr 1940 beantworten kann, bin ich

Weitere Kostenlose Bücher