Brandzeichen
wie weit sie reicht, aber wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, daß sie stark genug ist, daß einer von beiden dem anderen über beträchtliche Distanzen folgen kann. Es handelt sich allem Anschein nach um eine Art sechsten Sinns, irgendwie als eine Art Bonus bei der Technik der Intelligenzsteigerung entstanden, sowohl bei Weatherbys als auch bei Yarbecks Arbeit. Aber das sind reine Vermutungen. Genau wissen wir es nicht. Es gibt überhaupt verdammt viel, was wir nicht wissen!« Beide Männer schwiegen eine Weile. Die feuchte Enge des Wagens war nicht länger unbehaglich. Angesichts all der Gefahren, die in der modernen Welt lauerten, schien dieses dampfende Gefängnis vergleichsweise sicher und bequem - eine Zuflucht. Walt wollte keine Fragen mehr stellen, hatte Angst vor den Antworten, sagte aber schließlich doch:
»Banodyne ist ein Gebäude, das unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen steht. Es ist dafür gebaut. Unbefugten den Zutritt zu verwehren, und es ist sicherlich auch schwierig; aus dem Gebäude nach draußen zu kommen. Und doch sind sowohl der Hund als auch der Outsider entkommen.«
»Ja.«
»Wobei ganz bestimmt niemand daran gedacht hat, daß sie das könnten. Und das wiederum bedeutet, daß sie beide schlauer sind, als irgend jemand sich vorstellte.«
»Ja.«
»Was den Hund betrifft...«, sagte Walt, »... nun, wenn der schlauer ist, als man dachte, was macht das schon? Der Hund ist friedlich.«
Lem, der die ganze Zeit die beschlagene Windschutzscheibe angestarrt hatte, wandte schließlich den Blick zu Walt.
»Das stimmt. Aber wenn der Outsider schlauer ist, als wir gedacht haben ... wenn er beinahe so schlau ist wie ein Mensch, dann wird es noch schwieriger werden, ihn zu fangen.«
»Beinahe so schlau... oder genau so schlau wie ein Mensch.«
»Nein, unmöglich.«
»Oder sogar noch schlauer«, sagte Walt.
»Nein, das gibt es nicht.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
»Ganz bestimmt nicht?«
Lem seufzte, rieb sich müde die Augen und sagte nichts. Er würde nicht wieder anfangen, seinen besten Freund zu belügen.
Nora und Travis gingen die Fotografien eine nach der anderen durch und erfuhren etwas mehr über Einstein. Indem er einmal bellte oder heftig mit dem Schweif wedelte, beantwortete der Hund Fragen und konnte bestätigen, daß er die Anzeigen der Computerfirma gewählt hatte, weil sie ihn an die Computer in dem Labor erinnerten, wo man ihn gehalten hatte. Das Foto der vier jungen Leute mit dem gestreiften Wasserball hatte sein Interesse erweckt, weil einer der Wissenschaftler im Labor allem Anschein nach bei einem Intelligenztest, der Einstein besonderes Vergnügen bereitet hatte, Bälle verschiedener Größe benutzt hatte. Weshalb er sich so für den Papagei, die Schmetterlinge, Mickey Mouse und viele andere Dinge interessierte, konnten sie nicht herausfinden, aber das lag nur daran, daß sie nicht die richtigen Ja- oder Nein-Fragen stellten, die zu Erklärungen geführt hätten.
Aber selbst wenn hundert Fragen nicht dazu führten, die Bedeutung einer Fotografie zu klären, waren sie doch alle drei allein von dem Entdeckungsprozeß entzückt, weil sie in genügend anderen Fällen Erfolg hatten, so daß die Mühe sich lohnte. Ein einziges Mal verschlechterte sich die Stimmung, nämlich als sie Einstein nach dem Magazinbild des Dämons aus dem Horrorfilm befragten. Er geriet in hochgradige Erregung, zog den Schweif ein, legte die Zähne frei und knurrte tief in der Kehle. Einige Male trottete er davon, wich vor dem Foto zurück und verzog sich hinter das Sofa oder in ein anderes Zimmer, wo er ein oder zwei Minuten blieb, ehe er widerstrebend zurückkehrte, um sich weiteren Fragen auszusetzen. Und er zitterte fast andauernd, solange er bezüglich des Dämons ausgefragt wurde.
Als sie schließlich beinahe zehn Minuten lang versucht hatten, den Grund für die panische Angst des Hundes herauszufinden, wies Travis auf das Filmmonstrum mit seinen bösartigen Fängen und den gleißenden Augenbällen und sagte:
»Vielleicht verstehst du das nicht, Einstein. Das ist kein Bild eines wirklichen Lebewesens. Das ist ein unechter Dämon aus einem Film. Verstehst du, was ich meine, wenn ich unecht sage?«
Einstein wedelte: Ja.
»Nun, das hier ist ein unechtes Monstrum.«
Ein Bellen: Nein.
»Nachgemacht, unecht, nicht wirklich, bloß ein Mensch in einem Gummianzug«, sagte Nora.
Nein.
»Ja«, sagte Travis.
Nein.
Einstein versuchte erneut hinter das Sofa zu flüchten,
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