Brandzeichen
Winternächte über die Fenster geschraubt worden waren, trotz der allgegenwärtigen Schußwaffen und trotz des dämonischen Outsiders, der stets in ihrem Unterbewußtsein lauerte, war Nora nie glücklicher gewesen. Beim Abendessen unterhielten sie sich über den bevorstehenden Nachwuchs. Jim fragte, ob sie schon über Namen nachgedacht hätten. Einstein, der mit Pooka in der Ecke aß, war von der Idee, an der Namensgebung ihres Erstgeborenen beteiligt zu sein, sofort fasziniert. Er rannte sofort in die Speisekammer, um seinen Vorschlag zu buchstabieren. Nora stand vom Tisch auf, um zu sehen, welchen Namen der Hund für passend hielt. MICKY.
»Auf keinen Fall«, sagte sie.
»Mein Kind wird nicht nach einer Maus in einem Comicstrip heißen.« DONALD.
»Und nicht nach einer Ente.« PLUTO.
»Pluto? Jetzt werd gefälligst mal ernst. Pelzgesicht.«
GOOFY
Nora hinderte ihn entschieden daran, die Pedale des Buchstabenmechanismus weiter zu betätigen, sammelte die gebrauchten Buchstaben ein und legte sie weg, schaltete das Licht in der Speisekammer aus und kehrte zum Tisch zurück.
»Ihr haltet das vielleicht für spaßig«, sagte sie zu Travis und Jim, die vor Lachen fast erstickten, »aber ihm ist das ernst!«
Nach dem Essen saßen sie im Wohnzimmer um den Weihnachtsbaum und unterhielten sich über viele Dinge, darunter auch Jims Absicht, sich noch einen weiteren Hund zuzulegen.
»Pooka braucht einen Gefährten«, meinte der Tierarzt.
»Er ist jetzt beinahe eineinhalb Jahre alt, und ich bin der Ansicht, daß das Zusammensein mit Menschen für sie nicht ausreicht, wenn sie einmal aus dem Welpenstadium heraus sind. Sie werden genauso einsam wie wir. Und da ich diese Absicht habe, könnte ich ebensogut ein reinrassiges Labradorweibchen kaufen und auf die Weise später vielleicht sogar ein paar nette Welpen zu verkaufen haben. Also wird er nicht bloß einen Freund, sondern eine Gefährtin bekommen.«
Nora hatte nicht bemerkt, daß Einstein sich für diesen Teil der Unterhaltung mehr interessierte als für das, was sonst gesprochen wurde. Aber später, nachdem Jim und Pooka nach Hause gefahren waren, fand Travis eine Botschaft in der Kammer und rief Nora, damit sie sie auch sehen könne.
GEFÄHRTIN.
Der Retriever hatte darauf gewartet, daß sie die aufgereihten Steine bemerkten. Jetzt tauchte er hinter ihnen auf und sah sie mit fast spöttisch wirkender Miene an.
Nora sagte:
»Meinst du, du hättest gerne eine Gefährtin?«
Einstein schlüpfte zwischen ihnen durch in die Speisekammer, löschte das, was er ausgelegt hatte, indem er die Steine wegschob, und gab Antwort.
DARÜBER NACHDENKEN.
»Aber hör mal zu, Pelzgesicht«, sagte Travis.
»Du bist doch etwas Einmaliges. Es gibt sonst keinen Hund wie dich.«
Der Retriever dachte darüber nach, ließ sich aber nicht abbringen.
LEBEN IST GEFÄHRTE. TEILEN.
»Du hast unser Versprechen, daß wir darüber nachdenken, und dann reden wir noch einmal darüber«, sagte Travis.
»Jetzt wird es langsam spät.«
Einstein verfaßte schnell noch eine weitere Botschaft: BABY MICKY?
»Kommt überhaupt nicht in Frage!« sagte Nora.
Nachts im Bett, nachdem sie und Travis sich geliebt hatten, sagte Nora:
»Ich möchte wetten, daß er wirklich einsam ist.«
»Jim Keene?«
»Nun, ja, ich wette, der ist auch einsam. Er ist ein so netter Mann und würde wirklich einen großartigen Ehemann abgeben. Aber Frauen sind in bezug auf das Aussehen genauso wählerisch wie Männer, meinst du nicht? Die mögen einfach keine Männer mit Spanielgesichtern. Die heiraten lieber Schönlinge, von denen sie die Hälfte der Zeit wie Dreck behandelt werden. Aber ich hab' nicht Jim gemeint. Ich habe Einstein gemeint. Er muß hier und da einsam sein.«
»Wir sind doch die ganze Zeit mit ihm zusammen.«
»Nein, in Wirklichkeit sind wir das nicht. Ich male, und du tust auch Dinge, bei denen der arme Einstein nicht mit dabei ist. Und falls du wieder ins Immobiliengeschäft einsteigst, wird es häufg so sein, daß Einstein gar niemanden hat.«
»Er hat seine Bücher. Er liebt Bücher.«
»Vielleicht reichen Bücher nicht«, sagte sie. Dann herrschte lange Zeit Stille, und sie dachte, Travis wäre eingeschlafen. Doch dann sagte er:
»Wenn Einstein eine Gefährtin hat und Welpen bekäme - wie würden die denn sein?«
»Du meinst - ob sie so klug sein werden wie er?«
»Das würde ich gerne wissen... Mir scheint, daß es drei Möglichkeiten gibt. Erstens: Wenn seine Intelligenz nicht
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