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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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trank noch ein Bier und erzählte Einstein von seiner selbstauferlegten seelischen Isolation. Einstein saß bewegungslos vor ihm, gähnte kein einziges Mal, als gelte sein ganzes Interesse Travis' Bericht.
    »Ich war schon als Kind ein Einzelgänger, von allem Anfang an, obwohl ich nicht ganz ohne Freunde war. Es war nur so, daß ich immer meine eigene Gesellschaft vorzog. Ich vermute, das liegt in meiner Natur. Ich meine, als ich ein Kind war, war ich noch nicht zum Schluß gekommen, es sei gefährlich, mit mir befreundet zu sein.« Travis' Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und das war ihm schon in sehr jungen Jahren bekannt gewesen. Mit der Zeit sollte ihm ihr Tod wie ein Omen dessen, was noch kommcn sollte, vorkommen und schreckliche Bedeutung annehmen; aber das war später. Als Kind lastete die Bürde der Schuld noch nicht auf ihm. Nicht bevor er zehn wurde. Das war das Jahr, in dem sein Bruder Harry starb. Harry war zwölf, um zwei Jahre älter als Travis. Eines Montagmorgens im Juni überredete Harry Travis dazu, die drei Blocks bis zum Strand zu wandern, obwohl ihr Vater ihnen ausdrücklich verboten hatte, ohne ihn schwimmen zu gehen. Es war eine einsame Badebucht ohne Badeaufseher, und sie waren weit und breit die einzigen Schwimmer.
    »Harry geriet in eine Strömung«, berichtete Travis.
    »Wir waren beide im Wasser, keine drei Meter voneinander entfernt, und die verdammte Strömung packte ihn und riß ihn mit sich, sog, mich aber hat sie nicht erwischt. Ich bin sogar hinter ihm hergeschwommen, habe versucht, ihn zu retten, hätte also eigentlich in dieselbe Strömung hineinschwimmen müssen. Aber ich nehme an, sie änderte, gleich nachdem sie Harry erfaßt hatte, ihre Richtung, weil ich lebend aus dem Wasser kam.« Ein paar Augenblicke lang starrte er die Tischplatte an, sah vor sich nicht etwa den roten Kunststoffbelag, sondern die trügerische blaugrüne See mit ihren Wellen.
    »Ich habe meinen großen Bruder mehr als sonst jemanden auf der Welt geliebt.«
    Einstein winselte leise, wie um sein Mitgefühl auszudrükken.

    »Niemand gab mir für das, was Harry zustieß, die Schuld. Er war der Ältere. Und hätte der Vernünftigere sein müssen. Mir aber kam vor... nun, wenn die Strömung Harry mitgerissen hatte, hätte sie auch mich erwischen sollen.«
    Ein nächtlicher Wind wehte vom Westen herein und ließ eine lockere Fensterscheibe klappern.
    Nachdem er einen Schluck Bier genommen hatte, sagte Travis:
    »In dem Sommer, in dem ich vierzehn wurde, wollte ich unbedingt in ein Tenniscamp. Tennis hat mich damals sehr begeistert. Also schrieb mein Vater mich in einem Camp in der
    Nähe von San Diego ein, für einen ganzen Monat, mit intensi ver Unterweisung. Eines Sonntags fuhr er mich hin, aber wir sind nie dort angekommen. Ein Stück nördlich von Oceanside schlief ein Trucker am Steuer ein, sein Lastzug schleuderte über den Mittelstreifen und nahm uns mit. Dad war sofort tot. Genickbruch, Rückgratbruch, eingedrückter Schädel, zerquetschter Brustkasten. Ich saß vorne neben ihm und kam mit ein paar Kratzern, ein paar Platzwunden und zwei gebroche nen Fingern davon.«
    Der Hund sah ihn eindringlich an.
    »Es war genau wie mit Harry. Wir hätten beide sterben müssen, Vater und ich. Ich aber kam davon. Und wir hätten diese verdammte Fahrt nicht gemacht, wenn ich nicht so versessen auf das Tenniscamp gewesen wäre. Diesmal stand es einfach für mich fest. Vielleicht hatte ich keine Schuld daran, daß meine Mutter bei der Geburt starb; vielleicht konnte man mir auch Harrys Tod nicht anhängen; aber diesmal... Jedenfalls war doch ziemlich klar, daß ich irgendwie vom Unheil verfolgt wurde, daß es für die Leute gefährlich war, mir zu nahe zu kommen. Wenn ich jemanden gern hatte, wirklich gern hatte, dann war es scheißsicher, daß ihm das den Tod brachte.« Nur ein Kind konnte zur Überzeugung gelangen, solch tragische Ereignisse bedeuteten nichts anderes, als daß es ein wandelnder Fluch sei. Aber Travis war damals ein Kind, erst vierzehn Jahre alt, und keine andere Erklärung paßte so gut. Er war zu jung, um zu begreifen, daß die sinnlose Gewalttätigkeit von Natur und Schicksal oft von keiner klar erkennbaren Zielgerichtetheit war. Mit vierzehn Jahren brauchte er eine Erklärung, um mit den Dingen fertigzuwerden, also sagte er sich, daß ein Fluch auf ihm laste und er, wenn er sich näher mit jemandem anfreundete, den Betreffenden zu frühem Tod verurteile. Schon von Natur in sich

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