Brandzeichen
reagiere meine Launen an meiner Umgebung ab, also werde ich wahrscheinlich dich ein Jahrzehnt deines Lebens kosten.« Vor vier Jahren hatten sie geheiratet. Es war eine ganz schlichte Zeremonie auf dem Standesamt, im Sommer nach Travis' zweiunddreißigstem Geburtstag. Er hatte sie geliebt. 0 Gott, hatte er sie geliebt.
Zu Einstein sagte er:
»Wir wußten das damals nicht, aber sie hatte schon an unserem Hochzeitstag Krebs. Zehn Monate später war sie tot.«
Der Hund legte wieder den Kopf in seinen Schoß. Eine Weile konnte Travis nicht weitersprechen. Er trank einen Schluck Bier. Streichelte den Kopf des Hundes.
Nach einer Weile sagte er:
»Danach versuchte ich mein Leben wie gewohnt weiterzuführen. Ich bin immer stolz darauf gewesen, einer zu sein, der weitermacht, sich mit allem abfinden kann, einer, der immer die Nase oben behält, und all den Quatsch. Das Maklerbüro hab' ich noch ein Jahr in Gang gehalten. Aber nichts davon war mehr wichtig. Vor zwei Jahren hab' ich es verkauft. Löste auch meine Wertpapiere ein. Machte alles zu Geld und legte es auf die Bank. Mietete dieses Haus. Hab' die letzten zwei Jahre mit... nun, mit Brüten verbracht. Und bin dabei zum Eichhörnchen geworden. Kein Wunder, wie? Ein verdammtes Eichhörnchen. Kam im Kreis zurück, verstehst du, genau an den Punkt meiner kindlichen Überzeugungen. Für mich stand fest, daß ich für jeden eine Gefahr war, der mir nahekam. Aber du hast mich verändert, Einstein. An einem einzigen Tag hast du mich umgedreht. Ich schwöre dir, es ist als hätte man dich geschickt, um mir zu zeigen, daß das Leben geheimnisvoll, fremdartig und voller Wunder ist - und daß sich nur ein Narr freiwillig daraus zurückzieht und die Dinge an sich vorbeiziehen läßt.« Wieder schaute der Hund zu ihm empor. Er hob die Bierdose, aber sie war leer. Einstein ging zum Kühlschrank und holte eine neue. Travis nahm dem Hund die Dose ab und sagte:
»So, jetzt hast du die ganze traurige Geschichte gehört. Was meinst du letzt? Glaubst du, daß es klug für dich ist, in meiner Nähe zu sein? Glaubst du, es ist ungefährlich?« Einstein wuffte.
»War das ein Ja?«
Einstein rollte sich auf den Rücken, streckte alle viere in die Luft, bot seinen Bauch dar, wie er das getan hatte, als er Travis gestattete, ihm ein Halsband anzulegen. Travis stellte sein Bier beiseite, glitt vom Stuhl, ließ sich auf den Boden nieder und streichelte den Hund am Bauch.
»Also gut«, sagte er.
»Also gut. Aber stirb mir nicht, verdammt. Komm ja nicht auf die Idee, mir zu sterben.«
Um elf uhr klingelte Nora Devons Telefon. Es war Streck.
»Bist du jetzt im Bett, meine Hübsche?«
Sie gab keine Antwort.
»Wünschst du dir, ich wäre bei dir?«
Seit dem letzten Anruf hatte sie darüber nachgedacht, wie sie mit ihm zurechtkäme, und dabei waren ihr ein paar Drohungen eingefallen, die, wie sie hoffte, vielleicht wirken würden.
»Wenn Sie mich nicht in Frieden lassen«, sagte sie, »geh' ich zur Polizei.«
»Nora, schläfst du nackt?«
Sie saß im Bett. Jetzt richtete sie sich weiter auf, starr, verkrampft.
»Ich gehe zur Polizei und werde sagen, daß Sie versucht haben... sich mir aufzudrängen. Das werde ich. Ich schwöre, ich werde es tun.«
»Ich möchte dich nackt sehen«, sagte er, ihre Drohung nicht beachtend.
»Ich werde lügen. Ich werde sagen, daß Sie mich vergewaltigt haben.«
»Würdest du denn nicht wollen, daß ich meine Hände an deine Brüste lege, Nora?«
Ein Stechen im Magen zwang sie, sich im Bett nach vorne zu beugen.
»Ich lasse mein Telefon anzapfen und alle Gespräche aufzeichnen, damit ich Beweise habe.«
»Dich am ganzen Körper küssen, Nora. Wäre das nicht hübsch?«
Das Stechen wurde ärger. Außerdem zitterte sie jetzt am ganzen Körper. Ihre Stimme brach mehrmals, als sie ihre letzte Drohung einsetzte:
»Ich habe eine Pistole. Ich habe eine Pistole.«
»Heute nacht wirst du von mir träumen, Nora. Da bin ich ganz sicher. Du wirst davon träumen, daß ich dich überall küsse, deinen ganzen hübschen Körper...« Sie knallte den Hörer auf den Apparat. Dann rollte sie sich im Bett in seitliche Lage, zog die Schultern hoch, zog die Knie ein und umfaßte sie mit beiden Armen. Das Stechen hatte keine natürliche Ursache; es war ein zig und allein eine psychische Reaktion, ausgelöst von Furcht, Scham, Wut und ungeheurer innerer Verkrampfung. Langsam ließ der Schmerz nach. Die Furcht legte sich, nur die Wut blieb. Sie war so
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