Brandzeichen
und unterschlugen, weil sie auf bequeme Art zu Geld kommen wollten, punktum: keine Rechtfertigungen, keine Selbstbeweihräucherung, und so sollte es auch sein. Aber Leute mit Betongesichtern, die aussahen wie Quasimodo; wenn er seinen schlechten Tag hatte - nun, viele von diesen versuchten ihr unglückseliges Aussehen dadurch zu kompensieren, daß sie sich gaben wie Jimmy Cagney im Film >Public Enemy<. Johnny trug einen schwarzen Jumpsuit und schwarze Turnschuhe. Er trug immer Schwarz, wahrscheinlich weil er dachte, er sehe damit bedrohlich aus und nicht einfach nur häßlich. Aus dem Vorraum folgte Vince Johnny ins Wohnzimmer, wo schwarze Polstergarnituren mit glänzendschwarz lackierten Sofatischen standen. Da waren Ormolu-Tischlampen von Ranc zu sehen, große, silberbestäubte Deco-Vasen von Daum, ein Paar alte Stühle von Jacques Ruhlmann. Vince kannte die Geschichte dieser Gegenstände nur deshalb, weil Johnny der Draht bei früheren Besuchen kurz aus seiner Rolle des harten Burschen herausgetreten war und über seine Schätze geplaudert hatte.
Eine gutaussehende Blondine lag hingestreckt auf einer schwarzsilbernen Chaiselongue und las eine Zeitschrift. Sie war höchstens zwanzig, aber in beinahe peinlicher Weise überreif. Ihr silberblondes Haar war kurzgeschnitten, ein Bubikopf. Sie trug einen roten Hosenanzug aus chinesischer Seide, der an den Konturen ihrer vollen Brüste klebte, und als sie aufblickte und Vince schmollend ansah, schien das ein Versuch, wie Jean Harlow auszusehen.
»Das ist Samantha«, sagte Johnny der Draht. Zu Samantha gewandt, meinte er:
»Süße, das hier ist ein gemachter Mann, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, und schon zu Lebzeiten eine Legende.« Vince kam sich wie ein Esel vor.
»Was ist ein >gemachter Mann« fragte die Blondine mit hoher Stimme, womit sie den ohne Zweifel einstigen Filmstar Judy Holiday nachmachte. Johnny trat neben die Chaiselongue, umschloß mit der Hand eine Brust der Blondine und drückte sie kosend durch den Seidenpyjama hindurch. Dann meinte er:
»Sie versteht die Sprache nicht, Vince, sie gehört nicht zur Fratellanza. Sie ist ein Mädchen aus dem Tal, kennt das Leben nicht und kennt nicht unsere Sitten.«
»Damit meint er, daß ich keine Spaghetti fressende Ithakerin bin«, sagte Samantha ärgerlich. Johnny versetzte ihr eine so heftige Ohrfeige, daß sie fast von der Chaiselongue fiel.
»Gib acht, was du sagst, blödes Stück.«
Sie griff sich mit der Hand an die Wange, und in ihren Au gen schimmerten Tränen. Dann sagte sie mit Kleinmädchen-stimme:
»Tut mir leid, Johnny.«
»Blödes Stück«, murmelte er.
»Ich weiß nicht, was manchmal in mich fährt«, sagte sie.
»Du bist so gut zu mir, Johnny, und ich hasse mich, wenn ich 50 bin.«
Vince kam das Ganze wie einstudiert vor, wahrscheinlich deshalb, weil sie das schon so oft durchgespielt hatten, sowohl allein wie auch vor anderen. Das Glitzern in Samanthas Augen verriet Vince, daß es ihr Vergnügen machte, geschlagen zu werden; sie reizte Johnny, damit er sie schlug. Und Johnny bereitete es sichtlich Freude, sie zu schlagen.
Vince widerte das an.
Johnny der Draht nannte sie noch einmal >blödes Stück<, rührte dann Vince aus dem Wohnzimmer ins große Arbeitszimmer und schloß die Tür hinter sich. Er blinzelte ihm zu und sagte:
»Ein wenig vorlaut, die Kleine, aber dafür saugt sie dir das Hirn aus den Eiern.«
Vince verabscheute solch schmutzige Reden. Er lehnte es ab, sich in ein solches Gespräch hineinziehen zu lassen. Statt dessen holte er einen Umschlag aus der Jackettasche.
»Ich brauche Informationen.« Johnny nahm den Umschlag, schaute hinein, blätterte desinteressiert in dem Bündel Hundert-Dollar-Noten und sagte:
»Was du willst, sollst du haben.«
Das Arbeitszimmer war der einzige Raum im Haus, der von der Art Deco unberührt geblieben war. Er war durch und durch High-Tech. An drei Wänden standen massive Stahltische, auf ihnen acht Computer unterschiedlicher Marken und Modelle. Jeder Computer hatte sein Modem mit eigener Telefonleitung, und jeder Bildschirm leuchtete. Auf einigen Schirmen liefen Programme ab; Daten huschten über sie oder rollten von unten nach oben ab. Die Gardinen waren vor die Fenster gezogen, die zwei Arbeitslampen auf biegsamen Hälsen verhüllt, damit kein grelles Licht auf die Monitore fiele, und so war der Raum in elektronisches Grün getaucht, was Vince das eigenartige Gefühl vermittelte, er befände sich unter Wasser. Drei
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