Brandzeichen
verspielten Hund bemerkt und lächelten; aber es war weniger wahrscheinlich als bei Nora, daß sie begriffen, daß das Tier bei seinem Spiel mit der Zeitschrift komplexe Hintergedanken verfolgte.
Als Travis sich bückte, um >Die moderne Braut< aufzuheben, in der Absicht, sie zurückzutragen, kam Einstein ihm zuvor, hielt das Heft mit den Zähnen fest und schüttelte es einen Augenblick lang heftig.
»Böser Hund«, sagte Nora, sichtlich überrascht, an Einstein auch teuflische Züge zu entdecken.
Einstein ließ das Magazin fallen. Es war ziemlich zerknautscht, ein paar der Seiten waren zerfetzt, und hier und da zeigten sich auf dem Papier Spuren von Speichel.
»Jetzt werden wir es kaufen müssen«, sagte Travis. Hechelnd hockte sich der Hund auf den Bürgersteig, legte den Kopf schief und grinste zu Travis hinauf.
Nora in ihrer Unschuld merkte nicht, daß der Hund versuchte, ihnen etwas mitzuteilen. Natürlich hatte sie keine Veranlassung, für Einsteins Verhalten komplizierte Erklärungen zu suchen. Sie wußte nichts von seinen geistigen Fähigkeiten und erwartete von ihm keine Wunder von kommunikativem Verhalten.
Travis sah den Hund böse an und sagte:
»Jetzt hörst du auf, Pelzgesicht. Schluß damit. Verstanden?« Einstein gähnte. Nachdem sie das Magazin bezahlt und es in einen Plastikbeutel gesteckt hatten, setzten sie ihren Gang durch Solvang fort. Doch ehe sie das Ende des Häuserblocks erreicht hatten, fing der Hund an, seine Botschaft zu verdeutlichen. Plötzlich nahm er Noras Hand vorsichtig zwischen die Zähne und zog sie zu ihrer Verblüffung über den Bürgersteig zu einer Gemäldegalerie, wo ein junges Paar die Landschaftsgemälde im Schaufenster bewunderte. Sie hatten ein Baby in einem Kinderwagen, und auf dieses Kind lenkte Einstein jetzt Noras Aufmerksamkeit. Er wollte ihre Hand nicht loslassen, bis er sie gezwungen hatte, den in Rosa gekleideten Säugling am Arm zu tätscheln. Verlegen meinte Nora:
»Er hält Ihr Baby wohl für ausnehmend hübsch - und das ist es ja auch.« Mutter und Vater hatten den Hund zunächst argwöhnisch gemustert, erkannten aber schnell, daß er harmlos war.
»Wie alt ist denn Ihr kleines Mädchen?« fragte Nora.
»Zehn Monate«, sagte die Mutter.
»Und wie heißt sie?«
»Lana.«
»Ein hübscher Name.« Schließlich war Einstein bereit, Noras Hand loszulassen. Ein paar Schritte von dem jungen Paar entfernt, vor einem Antiquitätenladen, der so aussah, als wäre er Ziegel um Ziegel und Balken um Balken aus dem Dänemark des 17. Jahrhunderts hierhertransportiert worden, blieb Travis stehen, kauerte sich neben dem Hund nieder, hob eines seiner Ohren und sagte:
»Genug. Wenn du je wieder dein Alpo kriegen willst, dann hör jetzt auf.« Nora sah ihn verdutzt an.
»Was ist nur in ihn gefahren?« Einstein gähnte, und Travis wußte, daß es Ärger geben würde. In den nächsten zehn Minuten ergriff Einstein zweimal No- ras Hand und führte sie beide Male zu Babys. >Die moderne Braut< und Babys. Die Botschaft war jetzt schmerzhaft deutlich, selbst für Nora: Du und Travis, ihr gehört zusammen. Heiratet. Habt Kinder. Gründet eine Familie. Worauf wartet ihr? Sie war jetzt knallrot und schien außerstande, Travis anzusehen. Auch ihm war das Ganze peinlich. Endlich schien Einstein zufrieden, seine Absicht klargemacht zu haben, und benahm sich wieder anständig. Bis zu dieser Stunde hätte Travis jedem gegenüber auf dessen entsprechende Frage behauptet, ein Hund könne nicht blasiert dreinsehen. Später, als es Zeit wurde, essen zu gehen, war es immer noch angenehm warm, und Nora änderte ihre Absicht, das Essen in einem gewöhnlichen Restaurant im Inneren einzunehmen. Sie wählte ein Lokal mit Tischen im Freien unter roten Schirmen, die unter den schützenden Ästen einer riesigen Eiche standen. Travis hatte aber das Gefühl, daß sie sich nicht davor fürchtete, in einem richtigen Restaurant zu sitzen, sondern daß sie im Freien essen wollte, damit sie Einstein bei sich behalten konnten. Mehrere Male während des Essens schaute sie Einstein an, musterte ihn manchmal verstohlen, dann wiederum unverhohlen und mit gespannter Aufmerksamkeit.
Travis ging auf das, was geschehen war, nicht ein und tat so, als hätte er die ganze Angelegenheit vergessen. Aber als dann der Hund ihm die Aufmerksamkeit zuwandte und Nora gerade nicht herschaute, formte sein Mund drohende Worte: Keine Apfeltörtchen mehr. Würgehalsband. Maulkorb. Auf dem schnellsten Weg ins Hundeasyl.
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