Brandzeichen
Sekunden einsatzbereit gemacht werden konnten, für den Fall, daß sie den Gegner fanden. Jeder der im Raum Anwesenden hatte schriftlich einen Geheimhaltungseid abgelegt, der ihm eine lange Gefängnisstrafe androhte, falls er mit jemandem über ihren Einsatz sprach. Sie wußten, was sie jagten, obwohl Lem bewußt war, daß es einigen von ihnen schwerfiel, an die tatsächliche Existenz der Kreatur zu glauben. Manche hatten Angst. Andere, besonders die, die schon im Libanon oder in Mittelamerika gedient hatten, waren mit Tod und Schrecken vertraut genug, um sich auch nicht durch das, worauf sie augenblicklich Jagd machten, erschüttern zu lassen. Ein paar Veteranen waren sogar noch aus dem letzten Jahr in Vietnam dabei, und sie behaupteten, die ganze Mission sei ein Zuckerlecken. Jedenfalls waren sie alle hervorragende Leute mit gesundem Respekt für den fremdartigen Feind, den sie jagten. Und wenn der Outsider zu finden war, würden sie ihn finden.
Als Lem sie jetzt um ihre Aufmerksamkeit bat, verstummten sie sofort.
»General Hotchkiss sagt mir, daß Sie wieder einen erfolglosen Tag hatten dort draußen«, sagte Lem.
»Und ich weiß. Sie sind darüber ebensowenig froh wie ich. Sie haben jetzt sechs Tage lang in schwierigem Terrain gearbeitet. Sie sind müde und fragen sich, wie lange das noch weitergehen soll. Nun, wir werden weitersuchen, bis wir finden, was wir suchen, bis wir den Outsider in eine Ecke treiben und töten. Wir können und dürfen nicht ruhen, solange er noch in Freiheit ist. Keinesfalls.«
Keiner der hundert Männer gab einen Ton von sich.
»Und denken Sie immer daran - wir suchen auch nach dem Hund.«
Jeder im Saal hoffte wahrscheinlich, daß er derjenige sein würde, der den Hund fand, und daß ein anderer auf den Outsider stieß.
Lem sagte:
»Am Mittwoch bringen wir weitere vier Gruppen der Marineabwehr von weiter entfernten Stützpunkten herein, und die Männer werden Sie dann im Turnus ablösen, damit Sie ein paar Tage frei haben. Morgen früh aber sind Sie alle wieder draußen, und wir haben das Suchgebiet neu abgesteckt.«
Hinter dem Rednerpult war eine Karte des Bezirks an der Wand angebracht, und Lem deutete jetzt mit einem Zeigestab darauf.
»Wir verlagern den Einsatz nach Nord-Nordwesten in die Hügel und Canyons rings um Irvine Park.«
Er berichtete ihnen von dem Gemetzel in dem Tierpark. Er beschrieb ihnen den Zustand der Kadaver in allen Einzelheiten, weil er nicht wollte, daß auch nur einer dieser Männer unvorsichtig würde.
»Was diesen Zootieren passiert ist«, sagte Lem, »könnte jedem einzelnen von Ihnen auch passieren, wenn Sie am falsehen Ort oder zur falschen Zeit in Ihrer Wachsamkeit nachlassen.«
Hundert Männer musterten ihn mit großem Ernst, und in ihren Augen sah er hundert Spielarten seiner eigenen unterdrückten Furcht.
Dienstagnacht, der 25. Mai. Tracy Leigh Keeshan konnte nicht schlafen. Sie war so aufgeregt, daß sie das Gefühl hatte, bersten zu müssen. Sie stellte sich vor, sie sei ein Löwenzahn, ein zarter Ball zerbrechlichen weißen Federwerks. Und dann kam ein Windstoß und all die weiße Watte segelte nach allen Richtungen davon -puff -in die entferntesten Winkel der Welt, und Tracy Keeshan würde nicht mehr existieren, von ihrer eigenen Erregung vernichtet.
Die Fantasie ging der Dreizehnjährigen oft durch. Wenn sie im dunklen Zimmer im Bett lag, brauchte sie nicht einmal die Augen zu schließen, um sich im Sattel sitzen zu sehen, auf Goodheart, ihrem kastanienbraunen Hengst, über die Rennbahn donnernd, den anderen Pferden im Feld weit voraus, die Ziellinie nicht einmal mehr hundert Meter vor sich, und die begeisterte Menge jubelte ihr wie wild von den Tribünen zu ... Auf der Schule bekam sie gewohnheitsmäßig gute Noten, nicht weil sie eine besonders fleißige Schülerin war, sondern weil das Lernen ihr leichtfiel und sie ohne viel Mühe gut vorankam. Die Schule bedeutete ihr nicht sehr viel. Sie war schlank und blond, mit Augen, genau im Farbton eines klaren Sommerhimmels, und sehr hübsch. Die Jungs fühlten sich zu ihr hingezogen. Aber sie verbrachte ebensowenig Zeit mit Gedanken über Jungs wie damit, sich mit ihren Schulaufgaben zu befassen. Vorläufig zumindest. Dabei waren ihre Freundinnen auf Jungs geradezu fixiert, derart besessen von dem Thema, daß Tracy es zu Tode langweilig fand. Was Tracy interessierte - leidenschaftlich, tief und heftig das waren Pferde, Vollblutrennpferde. Seit ihrem fünften Lebensjahr sammelte sie
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