Brandzeichen
Schwindel. Als sie das Geschäft verließen, erfuhr sie, daß er fünfhundert Dollar für das Kleid bezahlt hatte. Fünfhundert Dollar! Sie hatte vorgehabt, es in den Schrank zu hängen und oft anzusehen, gleichsam als Ausgangspunkt für angenehme Tagträume, was schön und in Ordnung gewesen wäre, hätte es fünfzig Dollar gekostet. Aber für fünfhundert würde sie es tragen müssen, selbst wenn sie sich darin lächerlich vorkam, selbst wenn sie richtig aufgedonnert damit aussah, eine Putzfrau, die sich als Prinzessin ausgab.
Am folgenden Abend, bevor Travis sie zum Essen im Talkof-the-Town abholte, zog sie zwei Stunden lang das Kleid ein halbes Dutzend mal an und wieder aus. Sie durchstöberte mehrmals den Inhalt ihres Kleiderschranks, suchte verzweifelt nach etwas anderem. Vernünftigerem. Aber sie hatte nichts, weil sie bisher nie Garderobe für teure Restaurants gebraucht hatte.
Mit finsterem Blick ihr Bild im Badezimmerspiegel betrachtend, sagte sie:
»Du siehst aus wie Dustin Hoffman in >Tootsie<.«
Sie mußte plötzlich lachen, denn ihr war klar, daß sie zu streng über sich urteilte. Aber zarter ging's einfach nicht; so fühlte sie sich eben: wie ein Mann in Frauenkleidern. Und in diesem Fall waren Gefühle wichtiger als Tatsachen. Ihr Lachen schmeckte plötzlich bitter.
Zweimal begann sie zu heulen, überlegte, ob sie ihn anrufen und ihre Verabredung absagen solle. Aber sie wollte ihn sehen, ganz gleich, wie erniedrigend der Abend sein würde. Sie wusch sich die roten Ränder aus den Augen, probierte das Kleid erneut an - und zog es aus.
Ein paar Minuten nach sieben traf er ein und sah sehr gut aus in seinem dunklen Anzug.
Nora trug ein formloses blaues Hemdblusenkleid und dunkelblaue Schuhe.
»Ich werde warten«, sagte er.
Und sie:
»Hm? Worauf?«
»Sie wissen schon«, sagte er, was nichts anderes bedeutete als: Gehen Sie sich umziehen, Sie sprudelte es in nervöser Hast heraus, und ihre Ausrede hinkte ordentlich:
»Travis, tut mir leid, es ist wirklich schrecklich, aber ich habe Kaffee über das Kleid gegossen.«
»Ich werde hier drinnen warten«, sagte er und ging auf das Wohnzimmer zu.
»Einen vollen Topf Kaffee«, sagte sie.
»Sie beeilen sich besser. Wir haben für halb acht reserviert.«
Sich innerlich gegen das amüsierte Flüstern, wenn nicht sogar Gekichere der Leute stählend, sich vorsagend, die Meinung Travis' sei die einzige, auf die es ankomme, zog sie das Diane-Freis-Kleid an. Sie wünschte, sie hätte die Frisur nicht zerstört, die Melanie ihr vor ein paar Tagen gemacht hatte.
Vielleicht hätte das geholfen. Nein, wahrscheinlich würde sie damit noch lächerlicher aussehen.
Als sie wieder die Treppe herunterkam, lächelte Travis und sagte:
»Sie sehen reizend aus.« Sie konnte nicht feststellen, ob das Essen im Talk-of-the-Town so gut war wie sein Ruf. Sie schmeckte überhaupt nichts. Später konnte sie sich auch nicht mehr an die Innenausstattung des Lokals erinnern, dafür hatten sich die Gesichter der Gäste - darunter auch das des Schauspielers Gene Hackman - in ihre Erinnerung eingebrannt, weil sie sicher war, daß diese Leute sie den ganzen Abend über voll Staunen und Verachtung angestarrt hatten. Das Essen war in vollem Gange, als Travis, dem ihr Unbehagen sichtlich bewußt war, sein Weinglas hinstellte, sich zu ihr beugen und leise sagte:
»Sie sehen wirklich reizend aus, Nora, ganz gleich, was Sie denken. Hätten Sie die Erfahrung, solche Dinge zu bemerken, dann wüßten Sie, daß die meisten Männer im Saal hingerissen sind von Ihnen.«
Aber sie kannte die Wahrheit, konnte sich dieser Wahrheit stellen. Wenn die Männer sie tatsächlich anstarrten, dann nicht, weil sie hübsch war. Man mußte schließlich damit rechnen, daß die Leute einen Truthahn anstarrten, der sich mit Hilfe eines Federbuschs als Pfau auszugeben versuchte.
»Sie sehen ohne eine Spur von Make-up besser aus als jede andere Frau im Saal«, sagte er.
Kein Make-up. Ein weiterer Grund, weshalb sie sie anstarrten. Wenn eine Frau ein Fünfhundert-Dollar-Kleid anzog, um sich in ein teures Restaurant ausführen zu lassen, dann sorgte sie dafür, daß sie so gut wie möglich aussah, benutzte Lippenstift, Eyeliner, Make-up, Puder und Gott-weiß-was-sonstnoch. Aber Nora war nicht einmal der Gedanke an Make-up gekommen. Das Dessert -Mousse au Chocolat und zweifellos köstlich -schmeckte wie Bücherleim und blieb ihr ein paarmal im Hals stecken. Sie und Travis hatten in den vergangenen
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