Brann 01 - Seelentrinkerin
»Dieser Auftritt war kein Erlebnis, das ich noch einmal haben möchte.« Sie seufzte und trank erneut Tee, hob den Becher in spöttischer Feierlichkeit in Taguiloas Richtung, wie um ihm zuzutrinken. »Ich wünsche deinen Füßen viel Glück, Taga. Du wirst's brauchen.« Es schauderte ihr, sie stellte den Becher ab. »Zeit für die nächste Vorführung.«
Als Taguiloa hinaus auf die Matten sauste, spürte er die sogar noch wachsende Leblosigkeit der Zuschauerschaft. Sie zehrte irgendwie an ihm, kostete ihn Kraft, als wären die schwarzen Temuengaugen und die gelben Augen der Mischlinge auf sein Fleisch gepreßte Münder, mit denen sie ihn aussaugten, während er für sie tanzte. Er zwang sich zum Weitertanzen, obwohl seine Gliedmaßen sich bald bleischwer anfühlten, seine Sicherheit schwand. Er beschränkte die Verwegenheit seiner Darbietung, wagte weniger, aber selbst dann hatte er noch den Eindruck, am Rand eines Abgrunds zu tanzen.
Die Musik wechselte. Taguiloa tut einen Fehltritt, fängt sich, will den Auftritt fortsetzen. Eine glutheiße Gewalt erfaßt seinen Körper, lenkt seine Füße in verwickelter Schrittfolge über die für die Vorstellung ausgebreiteten Matten.
Aus der Tiefe der Erde unter dem Palast ertönt ein Grollen. Die Lampen schwanken und flackern. Ihre Schatten gaukeln in zerspellten Mustern über den Fußboden und die Gesichter der stummen Zuschauer.
Brann tritt hinter den Wandschirmen hervor, tanzt auf Taguiloa zu, ihre Füße bewegen sich wie seine Füße. Ihr Haar ist weiß, wallt ihr um den Kopf, als führe Wind hinein, obwohl die Luft still ist, bedrückend stickig. Ihr Gesicht ist verzerrt und bleich. Sie bewegt sich mit einer steifen Widersetzlichkeit, ähnlich wie Taguiloa, tanzt mit ihm gemeinsam, dabei aber — offenbar nach einem bestimmten Muster — um und durch die Bewegungsabläufe seines Tanzes.
Für beide wird das Tanzen leichter. Die Musik wird immer wilder. Die Mauern knirschen. Die Temueng sitzen starr da.
Abanaskranjinga windet sich auf seinem Thron, will aufstehen, schlägt die fleischigen Fäuste auf die Armlehnen. So unabwendbar, unaufhaltsam wie das Verstreichen von Zeit geht der Tanz weiter. Die Kaiserliche Gemahlin versucht sich vom Platz zu erheben, sie keucht und japst, als der Körper ihrem Willen nicht gehorcht.
Brann und Taguiloa berühren sich, gehen auf Abstand, schwingen sich voneinander fort und danach wieder aufeinander zu. Sie durchtanzen Schleifen, nähern sich erneut einer dem anderen, kreiseln auseinander.
Die Braunkutten scheinen zu schrumpfen, sie gleichen einem Schlammgeysir, der brodelt und blubbert, die Köpfe rucken auf und ab, den Kehlen entringt sich ein gewinseltes Stöhnen, gerade noch durch die Musik hörbar, sie widerstreben den Kräften, die sie bannen, stemmen sich gegen sie, doch können sich ihnen nicht entziehen, sie gleichen Fliegen, die sich nicht mehr aus Honig befreien können.
Die Trommeln dröhnen lauter. Lauter. Lauter. Negomas wirkt gleichartig furchterfüllt wie besessen, wenigstens halb verschmilzt er mit der Musik, die langen schwarzen Hände huschen, hämmern, sie schlagen die Trommeln, als gehörten sie einem Fremden.
Aus der Flöte trillern grelle, durchdringende, gedehnte Töne, die das Wummern und Wirbeln der Trommeln schroff untermalen, als wolle sie ihre wohlklingende Art verleugnen, Schmerz hinauszugellen. Linjijan schwankt von Seite zu Seite, die Lider geschlossen, er geht vollständig auf im Flöten.
Harra entlockt der Daroud Tonfolgen und Klangreihen, die Augen blicken wild, die Lippen sind nach hinten und unten gezogen.
Die Musik schwillt und schwillt, ihr Hallen erfüllt den Audienzsaal, wird eins mit dem Stöhnen der Zuschauer, dem Gekreisch der Wut, das man vom Kaiser und seiner Umgebung hört.
Die Wände wanken und knarren. Der Fußboden schaukelt.
Branns Füße setzen ihre Schritte trotzdem fest und gleichmäßig. Sie umkreist Taguiloa. Ihm rinnt Schweiß übers Gesicht. Seine Augen wirken glasig. Er faßt Branns Hand. Seine Haut ist kalt und feucht. Er schwingt sich von Brann weg.
Die Flöte gellt, von den Trommeln rollen Wirbel von Wumsern, die Daroud schrammt.
Da verstummt die Musik. Urplötzlich herrscht Stille.
Aus Branns Leib strömt Slya, nimmt in der Mitte der ausgelegten Matten Gestalt an.
Keucher und Röcheln, ein Hauchen von Seufzern durchraunen den Saal.
Die große rote Gestalt stand breitbeinig auf den Matten, Rauchwölkchen quollen über den wie Bergkiefern stämmigen Beinen aus
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