Brann 02 - Blaue Magie
ruckartig den Arm, zerriß die um seinen Hals geknüpfte Schnur. Noch einen Augenblick lang kramte er unter seiner Kleidung und schwankte auf den Beinen, über jedes erträgliche Maß hinaus erschöpft; schließlich brachte er ein kleines Päckchen zum Vorschein, ein vielfach um einen schweren Gegenstand gefaltetes Pergament, rundum dick umhüllt mit schwarzem Wachs. »Wir vom Blute Harra Hazhanis ersuchen dich um dies: Gedenke deines Schwurs.« Er streckte ihr das Päckchen entgegen.
Sie nahm es, steckte es sich in die Bluse, fing den Knaben auf, als er gegen sie taumelte. Die Mattigkeit überwältigte ihn, als ob ihn ein Keulenhieb getroffen hätte, kaum daß der Antrieb seines Auftrags, sie zu erreichen, ihn nicht mehr aufrechthielt. Im Augenwinkel erfaßte sie ein Huschen von Dunkelheit. Hinter dem Jungen schoß mitten aus der Luft ein Tigermensch. Ehe Brann zu handeln vermochte, stieß er dem Knaben unterhalb der Rippen ein Messer in den Leib und entschwand so plötzlich wieder — mit einem Geräusch, als zöge man den Korken aus einer Flasche —, wie er zuvor auftauchte.
Ein eisiger Lufthauch streifte Branns Nacken. Metall bohrte sich mit Wucht in ihren Rücken. In ihrem Innern flammte kalte Glut auf. Sie atmete mühsam; ihr war, als wäre sie mittendurch gespalten worden. Ein gedämpftes Platschen.
Die Knie gaben unter ihr nach, sie sah, wie sie auf die Gestalt des Knaben niedersackte, sah den Messergriff aus seinem Rücken ragen, sah auch noch Blut heraussprudeln, dann sah sie gar nichts mehr.
2. Zwei Monate früher und tausend Meilen südwestlich Jade-Halimms an der Küste. Im Owlyner Fünffingertal bereiten Ereignisse den Dolchstoß in Branns Rücken vor.
SZENE: Es ist spät, der Wunde Mond, gerade aufgegangen, nur als Sichel sichtbar. Eines der von Mauern umsäumten Häuser im Owlyner Tal. Eine kleine Schlafkammer im Kinderteil. In der Kammer drei schmale Betten, in einem davon schlummert ein Kind, ein Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren; die anderen Betten sind leer. Die Tür wird geöffnet. Durch den Türspalt huscht ein siebenjähriger Knabe herein, schleicht zu dem Mädchen, packt es an der Schulter, rüttelt es wach.
»Kori. Wach auf, Kori. Ich brauche deine Hilfe.«
Das Flüstern und das Schütteln erlösten Kori aus einem wirren Alptraum. »Wa ... Wer ...?«
Das Rütteln hörte auf. »Ich bin's, Kori. Tre.«
»Tre ...« Koris Hände tasteten über die Laken, sie stemmte sich hoch und drehte sich gleichzeitig. Ihre sämtlichen Glieder waren angewinkelt, ihr Körper wälzte sich mit träger Anmut herum, Stepp- und Überdecke wickelten sich um sie, bis sie sie beiseite schob und die Beine über die Bettkante schwang. Sie strich sich das Haar aus den Augen, musterte verdrossen ihren Bruder, eine dunkle Gestalt, die in dem vom Sternenschein erhellten Zimmer vor sich hinzitterte. »Aaach, Tre«, sagte sie mit leiser Stimme, damit die Kindertante nichts hörte und nicht kam, um sie auszuschelten, »mach die Tür zu, Närrchen, und erzähl mir, was dich so aufregt.«
Tre hastete zurück zur Tür und zog sie mit solcher Vorsicht zu, daß sie sich lautlos schloß; dann eilte er wieder zu seiner Schwester. Sie patschte mit der Hand neben sich aufs Bett, und er stieg herauf, hockte sich an die Stelle, die ihre Hand zuvor gezeigt hatte, seufzte und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen Kori. »Jetzt bin ich dran«, sagte er. »Zilos ist zu mir gekommen, ich meine, sein Geist. >Ich geb's an dich weiter, Trago<, meinte er, >der Angekettete Gott sagt, du bist an der Reihe.< Man wird mich auch verbrennen, Kori. Wenn die Zeichen einsetzen, wird man sehen, jetzt bin ich der Priester, und er wird davon erfahren und seinen Kriegern befehlen, mich zu verbrennen, so wie sie's mit Zilos gemacht haben.«
Kori erschauderte. »Bist du sicher? Vielleicht war's bloß'n übler Traum. Ich habe selbst in letzter Zeit viele häßliche Träume gehabt.«
Trago rückte von ihr ab. »Seine Hand hat mich berührt, Kori. Er hat das Mal hinterlassen.« Er zerrte den Kragen des Nachthemds bis über die Schulter herunter und zeigte Kori einen geschwollenen Fleck mit den Umrissen eines Sterns, dunkelrot wie ein Muttermal; vorher hatte er da kein Mal gehabt, er war ohne Muttermale geboren worden; während er Säugling war, hatte Kori ihn oft genug gebadet, um es genau zu wissen, derartige Verrichtungen zählten im Haushalt des Piyoloss-Klans zu den Aufgaben der Mädchen. Andererseits hatte sie ein
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