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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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von den warmen Fellen in der Hütte, und erst, als das weiße Morgenlicht den Traum durchbrach, öffnete er die Augen. Er bemerkte, dass sie sich alle um ihn versammelt hatten: Kinder, Frauen und Männer. Sie starrten zur Felsenburg. Vater legte seine Hand auf Brans Schulter.
    »Der Berg hat gesprochen«, sagte der Alte. »Hast du nicht den Lärm des Nebels gehört? Die Schneemassen haben sich gelöst. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern.«
    Da ertönte es erneut. Ein Dröhnen wie ein Donner. Bran wandte sich wie alle zur Felsenburg. Und er sah die Schneewolke, die aus dem Nebel oben an den Bergspitzen herausquoll und nach unten donnerte. Die Lawine schoss auf das Tal hinter der Felsenburg zu und brüllte wie ein Heer im Kriegsrausch. Dann verschwand sie hinter den Klippen, bis ein eisiger Wasserfall durch das offene Tor nach draußen stürzte. Das Brüllen verstummte und die Schneewolke legte sich.
    Das Felsenvolk stand lange still da. Viele weinten. Sie dachten an ihre Häuser, die dort gestanden hatten, seit Kalan sein Volk vor vielen Generationen über die Felsenbrücke geführt hatte. Und sie dachten an den Vogelmann, Karain, der auf eigenen Wunsch dort geblieben war. Sie sahen ihn vor sich; er war jetzt tot und hatte sich mit dem Himmelsvogel vereint, der ihm seine Federn gegeben hatte.
    Und während sie so dastanden, verdunkelte sich der Himmel. Zuerst empfanden sie es bloß wie einen Schatten, der über die Felshänge glitt, und dachten, es sei eine Schneewolke. Doch als sich der Schatten auf der Ebene ausbreitete und sich die Dunkelheit über sie senkte, drehten sie sich nach Osten und starrten voller Furcht zur Sonne. Denn der Feuerball im Osten war verändert. Er war rot und zur Hälfte von einer schwarzen Gestalt verdeckt. Bran spürte, wie die Angst seinen Rücken hinabkroch, und er sank gemeinsam mit allen anderen zu Boden. Sein Hals schnürte sich zu, denn er wusste, wer dort die Sonne verdeckte. Nur Turvi stand noch immer aufrecht da.
    »Kragg fliegt davon!« Der Einbeinige reckte seinen Arm zur Sonne. »Seht, er fliegt über das Meer im Osten davon!«
    Bran zwang sich, selbst aufzublicken. Kragg verdeckte jetzt die ganze Sonne. Mit gestreckten Flügeln glitt er durch den Himmel.
    »Er verlässt das Gebirge!« Turvi taumelte und stürzte zu Boden. »Er zeigt uns einen neuen Weg!«
    Jetzt tauchte die Sonne im Norden des Himmelsvogels wieder auf. Bran wischte sich die Tränen aus den Augen. Kragg schlug mit seinen riesigen Flügeln, schrie und stieg den Wolken entgegen. Dann verschwand er, und die Sonne war wieder gelb und heil.
     
    Sie zogen weiter. Richtung Osten, wie Kragg es ihnen gewiesen hatte. Die Hirten trieben die Schafe vor den Schlitten her, denn die Vokker näherten sich rasch über die Hügel im Süden. Bran hatte die Sehne seines Bogens gestrafft und den Pfeilköcher zwischen die Beine geklemmt. Sein Blick war fest auf die hundeähnlichen Gesichter geheftet, deren Augen hinter den zottigen Haaren brannten. Ihre Bäuche waren jetzt ganz eingefallen und sie hielten so wenig Abstand, dass er die Rippen unter der erdfarbenen Haut erkennen konnte. Wie immer trugen sie Keulen in ihren gekrümmten Armen und bewegten sich mit gebeugten Oberkörpern vorwärts. Der Winter war hart gewesen und er wusste, dass sie hungrig waren. Doch noch hielten sie Abstand. Das würden sie so lange tun, wie sich die Schlitten in rascher Fahrt befanden, denn die Riesen fürchteten alles, was sie nicht verstanden.
    »Leg dich hin und schlaf ein wenig, Bruder. Ich kann deine Wache übernehmen.« Dielan beugte sich zu ihm herüber und spähte zu den Riesen. Ihr Schlitten war der letzte in dem Gefolge und es war die Pflicht der Brüder, ihre Verfolger im Auge zu behalten.
    »Nein«, sagte Bran. »Es geht schon. Solange wir in den Schlitten sitzen, werden sie nicht angreifen.«
    Dielan strich sich über den Bart, schüttelte den Kopf und setzte sich wieder neben Gwen. Bran hörte, wie sie jammerte, wenn der Schlitten über eine unebene Stelle holperte. Er hoffte, das Kind würde warten, bis sie in Sicherheit vor den Vokkern waren.
    Der Schlitten knirschte, als sie über eine Schneewehe glitten und den steilen Hügel emporfuhren, der zu dem Kamm hinaufführte. Sie kamen nicht weit, bis das Gefolge stehen blieb und Turvi im ersten Schlitten einen Befehl gab. Seine Worte breiteten sich wie ein Echo entlang der Reihe der Schlitten aus.
    »Offenes Land! Dreht nach Norden!«
    Bran vergewisserte sich, dass die Vokker nicht

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